bei Ideen für schamanische Reisen bin ich immer dabei. Und ja, fühlt sich gut an. Die Kelten - und damit Avalon - sind mir ganz nahe. Geht auch aus dem nächsten Eintrag, der gleich folgt, hervor. Außerdem hat sich einer meiner schamanischen Lehrer mit Avalon vorgestellt, was ich damals witzig fand, dass er den Namen einer Insel als seinen Namen angab. Und wenn bei der Reise was interessantes herauskommt, dann poste ich das hier.
Dann wünsche ich dir einen möglichst reibungslosen Um- und Neubau auf deiner neuronalen Autobahn.
Es war im September 2004. Da meldete sich bei mir ein atlantischer Priester. Und zu dem gibt es auch eine Vorgeschichte. Ich hatte im Jahr zuvor eine Rückführung gemacht. Dabei wurde allerdings nicht ich in dieses andere Leben geführt, sondern die Frau, zu der ich gegangen war, sieht Bilder aus dem Leben. Sie berichtete von einem Leben in Atlantis, in dem ich Forscher gewesen sei und böse Dinge getrieben hätte – ihre Worte, nicht meine. Mein Gegenspieler sei ein Priester gewesen. Nach der Sitzung fühlte ich mich eigentümlich. Ich ‚wusste’, dass das Leben stimmte, aber die Interpretation der Frau empfand ich als wenig hilfreich, zuviel Anschuldigung, keine Hilfestellung.
Und anschließend begriff ich dann, warum alles so war. Zum einen führte es dazu, dass ich nun wirklich nur mir selbst traue und vertraue – ein unendlich wichtiger Schritt. Zum anderen aber zeigte sich nach einiger Zeit, dass dieser Priester für mich Bedeutung hatte. Ein knappes Jahr nach der Sitzung hatte ich Kontakt mit ihm, er nannte sich Alkantkabana – ich dachte damals noch: „kann er sich keinen komplizierteren Namen zulegen“ – und nach kurzer Zeit, das war dann im September, äußerte er einen Wunsch. Er machte deutlich, dass es kein Befehl sei, ich empfand die Formulierung sogar als ausgesprochen freundlich. „Wir würden uns freuen, wenn…“, hieß es.
Ja, sie würden sich freuen, wenn ich ein keltisches und ein atlantisches Kartendeck gestalten würde. Ich hatte über so etwas für die Kelten schon längere Zeit vorher nachgedacht. Da hatte ich mir ein indianisches Deck gekauft (von Jamie Sams), aber Indianer sind nicht so ganz „mein Ding“. Damals hatte ich schon überlegt, ob man das nicht auch für Kelten machen könne, die mir so viel näher sind. Für eine Nichte und eine Bekannte kam ein ähnlicher Hinweis (in diesem Fall ägyptisch und ägyptisch-atlantisches Tarot). Ich sprach mit den beiden und wir machten uns begeistert an die Gestaltung. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir die Grundidee fixiert und erste Skizzen für die Bilder (meine Nichte ist im Zeichnen ausgesprochen geschickt). Dann nahm jeder seinen Teil und begab sich ans Texten. Die Beschreibungen der Karten flossen nur so – nicht nur bei mir. Ich hatte jedes Mal das Gefühl, der Priester stehe hinter mir und unterstütze mich. Anfang 2005 waren wir damit fertig. Im Februar kam meine Nichte zu mir und wir beide schufen wie in einem Rausch innerhalb einer Woche die Bilder. Da jedes Kartendeck 79 Karten enthält, waren es fast 150 Bilder, die wir malen wollten (bei den atlantischen gibt es ein paar als Fotos). Meine Nichte zeichnete die meisten vor und jeder nahm sich dann eins zum ausmalen. Wir arbeiteten mit Buntstift, Kreide und Aquarell, entwickelten dabei auch noch irgendwie eine eigene Technik. Mittags vergaßen wir fast das Essen und abends beinahe das Aufhören. Nach der Woche waren die Bilder für meine beiden Decks fertig.
So manches Mal wurden sie anders, als wir geplant hatten oder es war auf einmal etwas darauf, dass keiner von uns beiden gemalt hatte. So gibt es bei dem Keltendeck ein Bild, das sich ‚Das kleine Volk’ nennt. Meine Nichte hatte einen dicken Baum gemalt, darum herum Pilze, zum Teil mit Gesichtern und vorne eine kleine Elfe. Als sie fertig war, stieß sie einen Schrei aus. Im Baumstamm war nun ein Gesicht, das sie definitiv nicht gemalt hatte, und oben in der Krone meint man einen Kreis aus grünen Wesen zu erkennen.
Im März hatten wir alles fertig. Damals suchten wir noch nach einem Verlag, was aber nicht gelang. Dass ich alles selbst verlegen sollte, wusste ich da ja noch nicht. Also lagen die Karten erst einmal auf Halde – was mir weder meine Nichte noch meine Bekannte so ganz verziehen. Sie fühlten sich von Alkantkabana auf den Arm genommen – hm, sie drückten sich etwas drastischer aus. Sie hatten ganz vergessen, dass er gesagt hatte: ‚wir würden uns freuen’ und auch, dass sie selbst mit Begeisterung zugestimmt hatten.
Ich nutzte dann sehr viel später eine Reihe der Bilder für unsere schamanische Website. Außerdem waren neue Legesysteme entstanden, die ich nun in unseren Seminaren verwende. Und irgendwann, das weiß ich, werde ich auch diese beiden Kartendecks veröffentlichen. Was die beiden anderen mit ihren tun, ist deren Entscheidung.
Die Decks bestehen jeweils aus 38 Hauptkarten, 20 Zusatzkarten und bei den Kelten aus 21 Totemtieren, bei den Atlantern sind es 21 Kristalle. Einige Karten sind Wochentagen zugeordnet, und zu jeder Karte gibt es zusätzlich zur Erklärung einen kurzen Spruch oder ein Gedicht.
Nichts davon war geplant, es meldete sich einfach so. Und ich bin heute noch begeistert, was sich da gemeldet hat. Als ich mit diesen beiden Decks fertig war, schrieb ich an meinem Sachbuch weiter. Jetzt konnte ich natürlich auch hier den Text noch leichter fließen lassen. Als dann auch das beendet war, stellte ich fest, dass ich, wenn ich der Leser meines Buches wäre, mir noch ein Arbeitsbuch wünschen würde. Also begann ich auch damit. Darüber berichte ich dann beim nächsten Mal.
Gast
hat folgende Bilder an diesen Beitrag angehängt
Ich hatte es mir ganz einfach gedacht. Zu jedem Kapitel des Sachbuches wollte ich eine Anleitung schreiben, und da Arbeitsanleitung sich so nach Disziplin und Anstrengung anhört, nannte ich es Spielanleitung. Doch dann wurde es ganz anders – auch einfach und leicht, aber auf eine andere Art und Weise als ich gedacht hatte. Ich stellte fest, dass es ein erstes Kapitel zu den Techniken geben sollte. In einem Sachbuch ist es in Ordnung, wenn das irgendwo mittendrin steht. Bei einer Anleitung aber nicht, schließlich sind diese Techniken ja die Hilfsmittel, die benötigt werden.
Dann begann ich mit den Themen, so wie sie im Sachbuch stehen, also zuerst Ahnen, das war auch noch in Ordnung. Doch irgendwann im Laufe des Schreibens, löste sich dieser Plan auf. Einiges wollte auf einmal zusammengefasst werden, anderes kaum behandelt, dafür kam neues dazu. Huch!!
Und dann stellte sich beispielsweise heraus, dass die Gewichtung eine andere ist als in dem Sachbuch. Zuerst war ich etwas verwirrt. Ich hatte doch geglaubt, dieses zweite Buch sei für die gleichen Leute wie das erste. Aber dann ließ ich es los, sagte mir, es ist in Ordnung, so wie es ist. Es hat wohl einen Grund, dass ich über andere Dinge schreibe, als ich mir vorgenommen hatte.
Auch dieses Buch nahm über ein Jahr in Anspruch, nicht wegen des Schreibens, sondern weil ich – anders als bei einem Roman – häufig etwas nachlesen musste, und mich dann in meinen alten Büchern festlas. Da beschreibe ich zum Beispiel eine kinesiologische Übung, ich habe sie schon wer weiß wie oft gemacht, überlege, ob es nicht noch eine bessere Beschreibung gibt und hole mir ein Kinesiologiebuch. Gleich neben dem, was ich suche, ist noch etwas anderes beschrieben, das ich bisher überlesen hatte oder das gerade für mich im Moment wichtig ist. Dann ruht natürlich das Schreiben.
Als es dann endlich fertig war, hatte ich das Gefühl, es ist noch viel zu früh für dieses Buch. Hm, warum das so ist, kann ich nicht einmal sagen. Aber das ist der Grund, warum es diese Spielanleitung noch nicht im Verlag gibt. Es kann aber auch sein, dass noch irgendetwas fehlt, dass sich in der nächsten Zeit meldet – und erst dann will es veröffentlicht werden.
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In der Zeit, da ich an den Sachbüchern und den Kartendecks schrieb, hat sich fast nichts Belletristisches gemeldet mit Ausnahme von ein paar Gedichten.
Ich hatte ja immer geglaubt, dass sei nicht mein Metier, aus der ersten Zeit des Schreibens gibt es von mir keinerlei Versuch, ein Gedicht zu schreiben. Dann war ich Ende des Jahres 1994 auf einem Literaturworkshop und eine der Aufgaben war, Haiku zu schreiben. Dafür gingen wir in einen kleinen Park, in dem ein kleines rotes Schloss steht (für Interessierte: Bergedorf bei Hamburg). Da standen und saßen wir nun in diesem Park mit Notizbüchern und Stiften und zählten laut oder leise die Silben. Manche Passanten sahen uns etwas irritiert an, eine Frau sprach mich an und wollte wissen, was wir täten. Als ich es ihr erklärte, lachte sie und wünschte viel Erfolg.
Anscheinend haben diese Haiku bei mir den Bann gebrochen. Ich schrieb auch zu Hause ein paar Haiku, dann ein etwas bissiges Gedicht über Weihnachten und ein Herbstlied. Dann war erst mal Pause.
Als ich 2002 den Zusammenbruch hatte, meldeten sich auf einmal auch wieder Gedichte. Zum keltischen Kartendeck wollte eines geschrieben werden, die Elemente wollten gefeiert werden. Die Gedichte entstanden aus den Gegebenheiten des alltäglichen Lebens. Dann war wieder Pause.
Anfang des Jahres 2006 erhielt ich von einem Freund ein zauberhaftes Gedicht über die Craniosacraltherapie, dies hatte einer in seiner Ausbildung vorgelesen. Es wirkte auf mich wie ein Katalysator und innerhalb weniger Wochen entstanden eine ganze Reihe von Gedichten. Manche meldeten sich nachts, ließen mich nicht weiter schlafen, ehe ich nicht die Zeilen auf Papier gebannt hatte. Ich war nur noch erstaunt, was ich da schrieb. Dann war plötzlich wieder Pause. Jetzt meldete sich nur hin und wieder ein Gedicht – mal war ein Lied von Loreena McKennitt der Anlass, dann eine Bemerkung, die jemand gemacht hatte. Und als ich meinen Verlag gegründet hatte und Bücher plante, versammelte ich die Gedichte und gab ein paar kleinere poetische Geschichte dazu und nannte das Ganze Ansíth: das ist gälisch und bedeutet so viel wie Einssein, im Frieden sein, im Einklang sein mit.
Inzwischen melden sich nur ab und an mal Gedichte, sie lassen sich am wenigsten zwingen. Bei Geschichten kann ich schon mal einfach meinen Stift und Papier nehmen und sagen: ich bin bereit. Dann kommt immer irgendetwas. Bei Gedichten geht das nicht. Allerdings kann ich mich auch kaum wehren, wenn denn eines in mein Leben bricht. Dann ist es wesentlich vehementer als alles andere.
So, und ehe es beim nächsten Mal weitergeht, hier nun ein Gedicht, das ich im Sommer 2009 geschrieben habe:
Mein Gedicht
Und hätt’ ich Töne nicht, wie sollt ich preisen, Der Erde Schönheit und der Liebe Glut? Wer würde dann die Hand mir liebreich weisen Zu tauchen ein in Lebens Freud und Wut?
Und hätt’ ich Farben nicht, die gut zum malen, Wie sollt ich malen Tag und Nacht und Land? Wer würd’ beschreiben all des Himmels Strahlen Und wer würd’ führen zart dann meine Hand?
Und hätt’ ich Worte nicht von einem Dichter, Wie sollt ich setzen dann die Zeil’ voll Lieb? Wer würde strahlen lassen dann die Lichter Und Sätze herrlich, die das Leben schrieb?
Doch hätt’ ich alles dies und sonst nichts weiter, Mein Werk würd’ leblos nur und starr wie Stein. Denn nur mein Herz erklimmt die Himmelsleiter, Nur es erfasst die Welt und auch das Sein.
Eigentlich wollte ich ja mit meinen Werken fortfahren. Doch nun hat sich plötzlich etwas Seltsames dazwischen geschoben. Es zeigt mir einmal mehr, wie stark meine Arbeit als Schriftstellerin mit meinem Leben verwoben ist. Ich kann diese beiden Dinge nicht trennen, schließlich schreibe ich nicht einfach aus dem Blauen heraus.
Auch wenn ich zurzeit immer noch mit meinem Taucherroman beschäftigt bin, wunderte ich mich doch, als sich einige geradezu penetrante Bilder zeigten. Sie hatten weder etwas mit dem tatsächlichen Geschehen während der Studentenzeit zu tun noch mit meinem Roman. Es wirkte eher wie ein Potential, wie etwas, das hätte sein können, wenn jener Joe (er hieß anders, aber ich nenne ihn jetzt mal so) wie und wann auch immer die richtigen Worte und damit zu mir gefunden hätte.
Ich sah mich in meiner Bude im Bonner Studentenwohnheim. Joe besuchte mich und blieb für eine Woche. Dann Schnitt und Szenenwechsel zu mehrere Monate später. Ich wusste, ich war schwanger, Joe hatte sich für jene Woche angekündigt und ich hatte mir vorgenommen, es ihm zu sagen. Niemand sonst wusste es, denn er sollte der erste sein. Dann auf einmal eine Szene in der Dusche, Schmerzen, und dann plötzlich etwas, das auf dem Boden des Duschbeckens liegt: Fehlgeburt. Was mich in dem Bild entsetzte – und dieses Entsetzen spürte ich dann tatsächlich – war die Tatsache, dass dieser abgegangene Fötus schon alles ausgebildet hatte, so klein er war: Köpfchen, Händchen und Füßchen. Wieso mich das so anrührte, weiß ich nicht, denn als Biologin kannte ich schließlich die Bilder: aber aus Büchern und aus dem Präparierkurs von Tieren.
Was mich dann noch mehr verwirrte, war, dass diese Bilder immer wiederkehrten und sich in mir eine eigentümliche Traurigkeit breitmachte. Also machte ich dazu eine schamanische Reise. Und darin erfuhr ich dann folgendes: Es handelte sich tatsächlich um ein Potential. Ich hatte mir mehrere alternative Situationen vorgenommen, die initiatorisch wirken würden und zwar alles für die Jahre 1980 und 1981. Das, was ich nun gesehen hatte, war eine Möglichkeit, die ich aber nicht gewählt hatte. Meine Lungenentzündung 1981 mit allem was danach kam, hatte ich dann in die Wirklichkeit gezogen. Anscheinend hatte ich richtig gut vorgesorgt, irgendetwas würde schon greifen.
Dann zeigte sich ein weiteres Bild. Eine Szene aus meinem Leben als Tamar im Kosovo, etwas, das ich bisher noch nicht kannte. Damals war ich im Kaukasus mit einem Ausdruck von Joe zusammengetroffen, dieser hieß Rewaz. Mit jenem Rewaz wurde Tamar schwanger, sie sagte es ihm, doch er reagierte sehr seltsam. Deshalb beschloss sie, mit ihrem Vater den Kaukasus zu verlassen, doch da verunglückte dieser tödlich. Sie wollte aber trotzdem gehen. Doch allein und mit einem werdenden Kind im Leib, das wollte sie nicht. Also suchte sie Kräuter und trieb ab.
Ich beobachtete, wie sie am Meer saß, zuerst seltsam unbewegt den Abgang spürte und dann ebenfalls fassungslos war, als sie sah, was sie da verloren hatte. Sie brach in Tränen aus, Rewaz, der ihr gefolgt war, nahm sie in den Arm und gestand nun, warum er sie nicht gebeten hatte, ihn zu heiraten. Er wusste, dass er unheilbar krank war und nur noch wenige Wochen zu leben hatte.
Plötzlich spürte ich in mir tiefen Frieden. Und dann kam der Impuls: aber das fehlt ja noch in meinem Roman ‚Im Kreis der Ausdrücke’. Das bedeutet, dass ich nun zu dem Kapitel über Tamar noch etwas schreiben werde. Schließlich gehört auch diese Episode dazu.
In der Reise konnte ich dann auch noch einige Begegnungen mit Joe in früheren Leben sehen. So erfuhr ich, dass er nicht nur Rewaz war, sondern auch Fiona – mit der Cladaigh, mein irischer Barde, neun schöne Jahre verlebt hatte – aber auch die Tante von Gotlindis, die sie zur großen Mutter und zu dem Kräuterwissen geführt hatte, und der Trobador, bei dem Jacques gelernt hatte, waren Ausdrücke von jenem Student mit der Koralle. Kein Wunder, dass ich bei diesem Roman immer das Gefühl gehabt hatte, er sei noch nicht fertig.
Und nun frage ich mich natürlich erst recht: warum habe ich damals nichts gemerkt? Können wirklich andere Emotionen so dominant sein, dass wir nicht bemerken, dass wir einer Seele begegnen, die wir gut kennen? Oder habe ich es doch gemerkt und bin damals aus genau diesem Grund mit auf seine Bude gegangen, was ich ja bis heute nicht so wirklich verstanden habe, denn es war für die damalige Ursula absolut untypisch.
Irgendwann in der nächsten Zeit werde ich mir auch das einmal ansehen. Aber ich spüre nicht diese Dringlichkeit wie bei den Bildern, die ich hatte. Es ist doch unwahrscheinlich spannend, wie wir uns selbst die Hinweise liefern und auf wie ungewöhnliche Art und Weise wir manchmal zu Erkenntnissen gelangen.
jetzt habe ich gerade eben mal wieder bei dir reingeschaut und diesen letzten Eintrag gelesen, der mich sehr tief berührt Weiter möchte ich gar nichts dazu sagen, mir fehlen die Worte. Ich selber lasse mich gerade durch meinen 61 Jahre lang vernachlässigten Körper in etwas Neues führen...
ja ich fühlte mich auch tief berührt. Vor allem, da ich in diesem Leben keine Kinder habe und auch keine Fehlgeburt hatte. Es ist ganz eigentümlich, auf einmal über solche Bilder an die Gefühle zu kommen. Natürlich wusste ich von Patientinnen, wie es denen gegangen ist. Nicht nur eine hatte bei einer Totgeburt einen Seelenanteil "verloren" und fühlte sich danach nie wieder ganz und vollständig.
Mich hatte nur bei dem ersten Bild ("ich" in der Dusche) das Entsetzen und das Gefühl von Reue irritiert. Aber klar: Tamar hatte ja bewusst abgetrieben, ohne zu wissen, was sie da tat. Wieder ein schönes Bild dafür, dass wir erst wissen können, wenn wir etwas getan haben. Und ich habe mich natürlich bei Tamar - also meinem eigenen Ausdruck - für diese Erfahrung bedankt.
Und übrigens muss ich in dem Roman noch mehr neu schreiben. Jetzt gehört natürlich der Student mit der Koralle auch in den Roman 'Im Kreis der Ausdrücke'. Wie doch eine einfache Erinnerung plötzlich Kreise ziehen kann.
So, heute soll es nun mit meinen Werken weitergehen. Da ich nicht nur so genannte „große“ Werke schreibe – wie zum Beispiel Romane – sondern auch Geschichten, möchte ich auch zu deren Entstehung etwas aufzeichnen. Schließlich waren Geschichten das erste, was ich in meiner Ausbildung als Hausaufgaben herzustellen hatte.
Die erste überhaupt sollte zu einer Zeichnung erfunden werden. Auf diesem Bild ist ein kleiner Junge zu sehen, mit einem Stock, einem Bündel und in der Nähe eines Zaunes. Als Hilfestellung hieß es, man solle sich überlegen, wer das sei, was er tue oder vorhabe. Damals hielt ich mich noch daran. Aber mit den ersten Überlegungen flossen dann auch die Ideen. Und so entstand ‚Das Geburtstagsgeschenk’, eine kleine Geschichte, die nun in meinem Bändchen Ansíth nachzulesen ist.
Manchmal sollten wir Anfangssätze weiterführen. Die inspirierten mich oft genug zu mehr als einer Geschichte. Und damit sie nicht zu gleich aussahen, veränderte ich dann oft genau diesen Anfang. So gibt es einen Beginn, bei dem ein Mann auf einem Bahnsteig steht und dem roten Licht eines Nachtexpress hinterher blickt. Diese Idee hat mich zu zwei sehr unterschiedlichen Erzählungen angeregt.
Die eine schickte ich als Hausaufgabe ein, sie nennt sich „Der Weg in die Freiheit“ und handelt von einem Mann, der sich auf ungewöhnliche Art der Kontrolle seiner Frau entzieht. Seine Freiheit gestaltet sich dann allerdings ganz anders als er sich das gedacht hatte. Die andere Geschichte „Warten auf Marie“ zeigt, wohin Menschen sich verirren, wenn sie absolut treu sind, warten und warten und nicht verstehen, dass inzwischen das Leben weitergegangen ist. Manchmal wurde auch nur der Anfang beschrieben und ich nutzte dann so manche Aufgabe, um mit dem Ablauf von Erzählungen zu experimentieren. So schrieb ich eine Erzählung nicht einfach in einem Handlungsstrang sondern in vier Briefen („Der letzte gemeinsame Weg“).
Nach einiger Zeit hatte ich soviel Erfahrung gesammelt – auch dank der Kommentare meiner Studienbegleiter –, dass ich auch Übungen und sonstige Hinweise als Ideen für Erzählungen nutzte. Auf diese Art und Weise entstanden in den neunziger Jahren über zwanzig Erzählungen und eine Reihe Skizzen. Diese sind inzwischen alle in den Bänden Herbstkind (Sammlung von Erzählungen) und Ansíth veröffentlicht.
Dann versiegte auch der Strom der Erzählungen. Als ich dann mit dem Sachbuch fertig war, wollte ich neben Romanen auch wieder Erzählungen schreiben. Doch da entstand auf einmal eine ganz neue Idee. Das war am Ende des Jahres 2007.
Ich hatte gelesen, dass Joanne K. Rowling, ein handgeschriebenes Märchenbuch zur Versteigerung freigegeben hätte. Die Idee gefiel mir: Märchen, die ich schon immer geliebt hatte, und dann noch handgeschrieben. Also überlegte ich mir, dass ich mir so etwas selbst schenken wollte.
Am Anfang des Jahres 2008 nahm ich mir ein ganz besonders hübsches Notizbuch, packte einen Stift und sagte: ich bin bereit für ein Märchen. Das erste, das sich meldete, war „Die traurige Prinzessin und der hüpfende Stein“, es ist in meinem Märchenband enthalten und steht als Leseprobe auf meiner Verlagswebsite.
Innerhalb von drei Monaten entstanden so vierzehn Märchen. Das erste Buch war längst voll und ein zweites begonnen. Jedes Märchen erhielt auch Zeichnungen von mir und liebevoll umrahmte Seitenzahlen.
Mit dem Schreiben der Märchen, war auch der Fluss der Erzählungen wiedergekommen. So waren die Monate des Jahres 2008 geprägt von Märchen, Erzählungen und dem Roman „Im Kreis der Ausdrücke“. Eines schien das andere zu befruchten. Und immer stärker flossen auch meine Erfahrungen mit dem Schamanismus ein.
Selbst Skizzen aus früheren Jahren, die jahrelang ein Dämmerleben geführt hatten, holte ich wieder hervor, gestaltete sie um und auf einmal war da eine richtige Geschichte.
Die Entstehung jeder einzelnen Erzählung zu beschreiben, ist gar nicht möglich, bei manchen weiß ich nun wirklich nicht mehr, wie ich denn gerade auf die Idee gekommen bin. Aber bei einigen Erzählungen war es so prägnant, dass ich es auch jetzt noch weiß. Darüber werde ich beim nächsten Mal berichten.
Liebe Ursula , wie schön! Bei mir beginnen sich gerade durch eine tiefe Heilung, die ich heute erfuhr, uralte Blockaden zu lösen und ich bin SEHR gespannt, was für Geschichten aus den Anfängen und Ideen entstehen werden, die ich seit einiger Zeit sammele und wo ich vorerst nicht weiterkam!
Die Erzählung, deren Entstehung mir noch heute deutlich vor Augen ist, heißt inzwischen Cornelius. Sie befindet sich in meinem Erzählband ‚Herbstkind’. Zuerst hatte ich sie ‚Im Land der Funktionierer’ genannt. Und ich sehe heute noch die Situation, bei der mir die Idee kam.
Es war Anfang 1994 und meiner behinderten Mutter verschrieb der Arzt Bewegungsübungen im Wasser. Wir suchten ein Haus, in dem sie diese Termine wahrnehmen könnte. In den Kurhäusern war das nie ein Problem gewesen, sehr wohl aber hier in der Stadt. In einem Alten-Wohnheim in unserer Nähe wurden wir dann fündig und ich brachte sie zu jedem Termin hin, lieferte sie ab (hört sich jetzt schlimmer an, als es war) und wartete im Flur auf sie. Alles war hier zwar sauber aber sehr kalt, viele Kacheln, und sehr nüchtern, eben zweckmäßig. Durch eine Glasscheibe konnte ich von meiner Bank aus sehen, was man mit meiner Mutter machte. Aber hören konnte ich natürlich nichts. Das wirkte sehr unnatürlich. Mir fiel dabei plötzlich ein, wie seltsam es ist, wenn man aus einer Narkose erwacht, da hört man aber sieht nichts.
Es war noch nicht sehr lange her, dass ich meine Arbeitsstelle verloren hatte und ich hatte immer das Gefühl gehabt, dass dies gewesen war, weil ich nicht richtig funktionierte. Dieser Begriff ‚Funktionierer’ spukte mir schon eine ganze Weile im Kopf herum und nun, im Anblick dieser kalten, gekachelten Welt, sah ich auf einmal eine andere Welt. So eine Mischung aus Huxleys ‚Schöne neue Welt’, Orwells ‚1984’ und Bradburys ‚Fahrenheit 451’.
Der Beginn meiner Geschichte war damit klar. Ein Mann im Land der Funktionierer tut dies nicht mehr, nämlich funktionieren, weil er einen Unfall hatte, obwohl er doch einen Kursus zum Verhüten von Unfällen belegt hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er Zeit nachzudenken und wird süchtig danach.
Bücher gibt es in dem Land schon lange nicht mehr – angeblich – aber natürlich gibt es noch ein paar versteckte bei einigen wenigen Leuten. Cornelius lernt so einen Mann kennen. Zwar hat man Cornelius einen Computer ins Krankenhaus gestellt und man erwartet von ihm, dass er von Woche zu Woche länger daran arbeitet, aber er wird immer unwilliger. Und als er aus dem Krankenhaus entlassen wird, muss er feststellen, dass sein Computer und damit seine Arbeit kontrolliert wurden, wie schon all die Jahre vorher. Das bedeutet Verlust seiner Arbeitsstelle und damit keine Chance auf eine neue. Auch deshalb geht er zu dem Mann, von dem er weiß, dass er Bücher hat, und dort trifft er Menschen aus einem anderen Land, nämlich von der Bücherinsel.
Anfangs sollte die Geschichte mit Cornelius Flucht auf die Bücherinsel enden. Aber nach einiger Zeit befriedigte mich dieser Schluss überhaupt nicht mehr. Wer sagte denn, dass es dort einfacher sei? Zwar durfte hier jeder lesen, so viel er wollte, man schob auch nicht die Alten und Kranken ab (die schöne neue Welt lässt grüßen), aber war das wirklich ein Idealstaat?
Bis zu diesem Punkt hatte ich wirklich nur die Grundideen der genannten Bücher vereint: aus der schönen neuen Welt dieses funktionieren sollen und alles abschieben, was alt und krank ist, die Kontrolle aus 1984, und das Verbot der Bücher aus Fahrenheit 451.
Dann plötzlich ging die Geschichte weiter, sie zeigt, dass zwar auf der Insel auch nicht eitel Sonnenschein ist, aber die Leute darüber reden, zumindest die Freunde, die Cornelius dort gefunden hat. Und sie stellen fest, dass sie genau so einseitig und unbalanciert leben wie die Menschen bei den Funktionierern. Die Erzählung endet nun mit einer Vision, die Cornelius hat. Und jetzt wollte sie auch Cornelius heißen und besteht nun aus zwei Teilen: Im Land der Funktionierer und Die Bücherinsel.
Dies ist meine düsterste Erzählung, ich vermute, ich habe damals einiges abgearbeitet, was in mir brodelte. Zwei der genannten Werke hatte ich schon Jahre vorher gelesen, nämlich als ich 1971 eine ganzes Jahr wegen Lungentuberkulose aus dem allgemeinen Gesellschaftsleben ausfiel, und zehn Jahre später folgte Fahrenheit 451. Jetzt, im Frühjahr und Sommer 1994 war die Zeit gekommen, alles mit dieser Geschichte aufzuarbeiten.
Alle späteren Werke sind sehr viel wärmer und trotz mancher Trauer, die es durchaus in vielen meiner Geschichten gibt, auch hoffnungsvoller. Als ich mit ‚ Cornelius’ fertig war, war ich sogar erst einmal entsetzt, ich hatte vorher nicht vermutet, dass da so etwas in mir schlummerte.
Beim nächsten Mal werde ich mir einige weitere Erzählungen vornehmen.
Heute möchte ich zuerst von zwei etwas längeren Erzählungen berichten. Die erste, die der Reihe nach diverse unterschiedliche Titel erhielt, verarbeitete meine Erfahrungen mit Krankheiten. Sie waren in meiner Familie immer ein Thema. Meine Mutter war von Kindheit an körperbehindert, als ich zahnte, erkältete sie sich, was sich dann zu einer Tuberkulose ausweitete, dreizehn Jahre später erkrankte sie wieder daran und ich nach weiteren zwei Jahren dann ebenfalls. Ich wusste, dass Krankheit einen Menschen verändern kann, und nicht nur die eigene, sondern auch die, die Angehörige oder geliebte Menschen betrifft.
Der Anlass zu meiner Geschichte war aber dann etwas ganz anderes. Anfang der Neunziger Jahre gab es einen ganz fürchterlichen Winter in New York, der Schnee muss damals meterhoch gelegen haben. Wir in Deutschland staunten nur – so hatten wir uns New York nicht vorgestellt. Und auf einmal fügten sich diese beiden Dinge, die ja nun erst einmal überhaupt nichts miteinander zu tun haben, zu einer Geschichte.
Ich hatte vorher schon so eine Idee gehabt, von einem jungen Paar, das sich trennt, weil er nicht verstehen kann, dass ihr ihre Karriere so wichtig ist. Das war noch ein Nachhall meiner eigenen Vorstellung, dass der Beruf zuerst kommt. Da ich damals gerade in einer Werbeagentur ein Praktikum gemacht hatte, war die junge Frau Werbemanagerin. Und sie wollte nach New York, weil das gut für die Karriere ist. Die beiden trennen sich im Streit.
Nun ist sie in der großen Stadt und erlebt dort diesen fürchterlichen Wintereinbruch. Und dann kommt ein Telegramm aus der Heimat, von ihrem Exfreund, dessen Schwester – ihre beste Freundin – schwer erkrankt ist.
Sie spricht mit einer Kollegin – der einzigen, mit der sie sich angefreundet hat – und beschließt dann, nach Deutschland zu fahren, um ihre Freundin noch einmal zu sehen.
Die ist an Leukämie erkrankt, stirbt nach einiger Zeit, aber die beiden – Freundin und Bruder – finden wieder zueinander. Und der endgültige Titel lautet nun: Freundinnen.
Bei der anderen Erzählung kamen auch Dinge zusammen, die erst einmal nichts miteinander zu tun haben. Das ist häufig der Zündstoff, aus dem Geschichten entstehen.
Ich hatte schon eine ganze Weile vorgehabt, eine Geschichte zu schreiben, die wenigstens zu einem Teil in England spielt. Irgendwann tauchte die Idee auf, eine „Stiefmuttergeschichte“ zu schreiben. So lautete auch anfangs der Arbeitstitel: Wieder sind es zwei Menschen, die beide berufstätig sind, aber dieses Mal sind sie älter und der Mann hat eine achtzehnjährige Tochter. Lange Zeit vermeidet er, dass sich die neue Frau in seinem Leben und seine Tochter kennen lernen. Nun, soweit hatte ich die Geschichte schon eine ganze Weile, doch die Idee, wie die beiden Frauen zusammenfinden könnten, die kam lange Zeit nicht.
Dann fiel mir, warum auch immer, wieder eine Episode aus meinem zweiten Englandurlaub ein. Das war der, in dem ich über zwanzig Schlösser und Parks besichtigte. Einer der Parks war der von Clivedon. Dieser Ort liegt westlich von London, ganz in der Nähe der Themse. Das Schloss kann nicht besichtigt werden, da es Hotel ist, wohl aber der Park. Als wir nun damals darin lustwandelten, hörten wir plötzlich aufgeregte Stimmen. Ein Parkwächter brüllte in sein Walky-Talky, neben ihm standen zwei aufgeregte junge Mädchen, die deutsch sprachen, eine hielt an der Hand ein kleines Kind. Des Rätsels Lösung: es waren Au-pair-Mädchen aus Deutschland, und der einen war der Schützling abhanden gekommen. Unsere Reiseleiterin sprach die Mädchen an, ob sie Hilfe benötigten, denn anscheinend hatten sie in der Aufregung ihr ganzes Englisch vergessen. Doch dann kam die frohe Botschaft: der kleine Ausreißer war gefunden worden.
So wurde also die achtzehnjährige Tochter zum Au-pair-Mädchen. Und die Frau reist nach England zu ihrer Freundin, die in Windsor direkt an der Themse lebt – das musste einfach sein, weil ich es da so schön fand –, im Grunde, um ihre Gedanken zu klären. Sie macht an einem Tag einen Ausflug nach Clivedon und erlebt genau das, was wir erlebt hatten. Doch die mit dem verlorenen Kind ist die Tochter ihres Freundes. Was dann im Gespräch sich herausstellt. Und hier – auf neutralem Boden – können sich die beiden Frauen aussprechen. Der endgültige Titel lautete dann auch: Eine Begegnung im Park.
Eine kleinere Erzählung, die ich schon kurz vor diesen beiden geschrieben hatte, hatte keine zündende Idee am Anfang, sondern einen eher traurigen Anlass, ein Erlebnis aus meiner Schulzeit.
Im letzten Jahr vor dem Abitur gab es auf einmal große Aufregung, weil ein Mädchen in der Parallelklasse schwanger war. Ich kannte sie aus dem Kunstunterricht, den wir mit der anderen Klasse gemeinsam hatten. Ich kann mich noch erinnern, wie jede von uns mal darum bat, ihren Bauch berühren zu dürfen – das war, als sich das Kind schon regte – und wie wir immer genau wissen wollten, wie es ihr ging.
Zuerst wollte man der jungen Mutter den Weg zum Abitur verbauen (nicht zu vergessen, das war Anfang der siebziger Jahre). Doch die Vertrauenslehrerin und ein junger Geschichtslehrer setzten sich für dieses Mädchen ein, und so machte man für sie eine Ausnahme, so dass auch sie ihr Abitur bestand. Die Familien von ihr und dem jungen Mann, der kaum älter war als sie – ebneten auch alle Wege und es sah alles wie eitel Sonnenschein aus.
Ein Jahr später kam ich noch für eine Weile in meine alte Schule, da ich an einer Arbeit für Jugend forscht weitermachte. Eines Tages erzählte die Vertrauenslehrerin – gleichzeitig meine Chemielehrerin – welche Tragödie geschehen war.
Das junge Paar wohnte bei den Eltern des jungen Mannes, der noch einen zwölfjährigen Bruder hatte, dieser spielte gerne mit dem kleinen Neffen, der nun ein Jahr alt war. Eines Tages hatte der Großvater – ein Jäger – sein Gewehr im Flur abgestellt, weil Gäste gekommen waren, und er hatte – was eigentlich gar nicht sein dürfte – es nicht entladen. Der Zwölfjährige nahm es, spielte mit dem Kleinen Jäger und Hase – was er sonst mit einem Besenstiel gemacht hatte – und tat, als ob er auf den Kleinen anlegen würde. Es ging ein Schuss los, das kleine Kind war sofort tot. Soweit die Geschehnisse, wie meine Chemielehrerin sie mir erzählte.
Nun, Jahre später, da ich nach Stoffen für Geschichten suchte, fiel mir diese Episode wieder ein. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sich die Menschen danach gefühlt haben mochten, die junge Mutter, der Vater, vor allem aber der Zwölfjährige und der Großvater, der ja eigentlich schuld an der ganzen Sache war. Es war schon ein Fehler gewesen, das Gewehr nicht direkt wegzusperren, ein weit größerer, überhaupt mit einem geladenen Gewehr in die Wohnung zu kommen. Und ich fragte mich, ob dies alles unüberwindliche Mauern zwischen diesen Menschen aufbauen würde oder ob es einen Weg aus dieser Tragödie geben könnte. Das Ergebnis war eine Geschichte, die ich „Ein grünlederner Band“ genannt habe, nach dem Tagebuch des jungen Mannes.
Meine Geschichte endet mit einem Hoffnungsstrahl, wie es in der Wirklichkeit weitergegangen ist, weiß ich leider nicht.
Heute möchte ich über ein paar Geschichten berichten, die ich damals als Hausaufgaben schreiben sollte. Bei der ersten war es wieder ein Bild, das uns inspirieren sollte. Dieses Mal ein Foto. Darauf ist in der Mitte ein Mann zusehen, der vornüber gebeugt auf einem Stuhl sitzt, so, dass man seine sich lichtende ‚Haarpracht’ sehr gut sehen kann. Neben ihm stehen zwei Männer, je rechts und links einer. Einer sieht wie ein Polizist oder Wachmann aus, der andere trägt einen Kittel und wirkt wie ein Arzt.
Bei mir entstand sogleich der Gedanke: „Das sieht gestellt aus“, und damit die Idee, das ist ein Theaterstück. Dieser erste Einfall wurde zum Selbstläufer. Mir schossen Wörter durch den Kopf wie Verhör, Sibirien – keine Ahnung warum es so war – miese Inszenierungen, moderne Regisseure. Und auf einmal formte sich daraus eine Geschichte. Das Foto ist das Szenenfoto einer Theaterprobe und in dem Stück – das erste eines unbekannten Dichters – geht es um ein Verhör in Russland und der Mann auf dem Stuhl ist der Hauptdarsteller. Dem Regisseur passt aber überhaupt nicht, wie der seine Rolle interpretiert, und im Zuschauerraum lauert schon die zweite Besetzung. Was ebenfalls lauert ist der fünfzigste Geburtstag – zumindest empfindet der Schauspieler das so, und er mag gar nicht, dass er sich so vornüber beugen muss, weil ihm klar ist, dass dann jeder seine beginnende Glatze sehen kann.
Das Stück habe ich ‚Verbannung nach Sibirien’ genannt. Es ist der Titel des Theaterstücks, das aufgeführt wird, aber es symbolisiert auch die Gefühle des Schauspielers, denn die zweite Besetzung wird tatsächlich vorgezogen und er landet in einer psychiatrischen Klinik, in der er nun diese eine Szene, an der er gescheitert ist, immer und immer wiederholt.
Bei der nächsten Erzählung war die einzige Vorgabe, dass in der Geschichte eine längere Rückblende enthalten sein sollte. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich etwas Passendes fand. Zwar fiel mir genügend ein, aber irgendwie wollte sich die Rückblende nicht fügen – oder besser gesagt, ich war nie zufrieden. Dann sah ich auf einmal eine Kirche, einen Priester, der vom Altar zur Mitte der Kirche schreitet. Die Sonne wirft ihre Strahlen durch das bunte Westfenster und dieses Strahlenbündel aus dem gesamten Bereich des Regenbogens blendet ihn für einen Moment. Die jungen Menschen, die auf ihn warten, werden auf einmal zu einem anderen jungen Paar, das genau so auf ihn gewartet hat.
Und ich hatte meine Geschichte. Das Paar in der Rückblende sind die Eltern des zweiten Paars, Geschwister, die sich erst vor kurzem gefunden haben. Jetzt fehlte mir nur ein hübsches Symbol, worüber die beiden sich finden konnten. Schon eine Weile vorher hatte ich die Idee gehabt, eine Geschichte in der Nähe einer kleinen Dorfkirche spielen zu lassen. So, wie ich eine Reihe Kirchen in England gesehen hatte, inmitten großer Rasenflächen, abseits von allem Lärm und ich hatte damals sogar einen Namen für die Kirche: St. Jakob im Felde. Das passte doch.
Mit dem Namen Jakob kam dann auch die Idee für das Symbol, nämlich die Jakobsmuschel und irgendwie schwirrte auch etwas von Lilien im Feld in meinem Kopf und so sind es die Muschel und die Lilie, die auf einem Kapitell der Kirche abgebildet sind aber auch das Medaillon des jungen Mädchens zieren, das dieses von seiner Mutter geerbt hat. Von dem Priester erhalten sie dann Einblick in das Kirchenregister, in dem die Trauung ihrer Eltern notiert ist.
Bei der nächsten Geschichte gab es als Vorgabe – neben der Länge, die war bei den Hausaufgaben immer vorgegeben – nur, dass es in der Geschichte um den Kontrast zwischen Alt und Jung gehen solle. Außerdem wurde von uns erwartet, dass wir zuerst ein Exposé schrieben und dann, Wochen später als nächste Aufgabe, die Geschichte ablieferte.
Zuerst hatte ich eine andere Idee – von der ich schon gar nicht mehr weiß, was es war. Dann fuhr ich zu dem Literaturworkshop nach Hamburg Bergedorf und war so fasziniert von dem kleinen roten Schlösschen, dass es in die Geschichte unbedingt hineinwollte. Während des Workshops hatte ich unter anderem folgenden Haiku geschrieben:
Blätter, rot und gelb, fallen vom Baum und bringen bald neues Leben.
Und in Hamburg kamen auch schon die ersten Einfälle, wie die Geschichte aussehen könnte. Der Park, das verwunschene Schlösschen, der kleine See, das alles inspirierte mich ungemein. Und so ist es ein kleines Mädchen geworden, das immer im Park spazieren geht, beobachtet von einem alten Mann, der dort wohnt. Sie fällt ihm auf, weil ihre kastanienroten Haare auf ihn wie Herbstlaub wirken. Eines Tages fällt ihr der Teddybär in den Teich, sie rettet das Plüschtier, ist aber nun nass wie eine Katze und geht ohne zu überlegen zu dem Haus des alten Mannes.
Letztendlich holt sie ihn aus seiner Einsamkeit heraus, auch wenn sie gegen Ende der Geschichte die Stadt mit ihrer Mutter verlässt. Allerdings versprechen sich die beiden, Briefe zu schreiben. Und der alte Mann hat wieder gelernt, auf die Kleinigkeiten des Lebens zu achten und sich darüber zu freuen.
Wie mein Studienbetreuer damals meinte, ist dies eine leise Geschichte. Und da sie mir immer noch so gut gefällt, wurde sie zur Titelgeschichte meines Erzählbandes. Bei den nächsten Eintragungen möchte ich auf Erzählungen eingehen, die ich erst sehr viel später geschrieben habe, nämlich erst, nachdem mein Sachbuch den Bann der Wortlosigkeit gebrochen hatte. Sie sind fast alle länger geworden als die frühen Geschichten und sie warten alle noch auf Veröffentlichung – was aber sicherlich auch irgendwann geschehen wird.
Bei den vorherigen Erzählungen habe ich einfach berichtet, wie es mir in den Sinn kam. Nun möchte ich wieder – wie bei den Romanen – chronologisch vorgehen. Für die erste Erzählung dieser Serie hatte ich die Idee schon eine ganze Weile sozusagen auf Eis liegen. Nachdem ich den ersten Rutsch meiner Märchen fertig hatte, nahm ich mir meine gesammelten Ideen vor und blieb an dieser hier hängen.
Anlass für diese Geschichte war ein Buch, das im Bücherschrank meiner Mutter stand. Sie besaß – und nun tue ich es – die Serie ‚Die Ahnen’ von Gustav Freytag. Ein Band (Die Brüder vom Deutschen Haus) fällt vollkommen aus dem Rahmen, den anderen sieht man an, dass sie zusammengehören. Schon das ist ungewöhnlich. Doch das Seltsamste überhaupt ist eine Widmung, die in diesem Buch steht. Und ich möchte sie hier zitieren, wenn ich auch nicht die gestochen klare Handschrift simulieren kann, in der sie geschrieben steht.
Unserem viellieben Hans Christian zum Abschied und zur freundlichen Erinnerung Titurel von Montsalvatsch Frankfurt a.M. im Wonnemond A.D. 1928
Als ich damals meine Mutter fragte, woher dieses Buch stamme, konnte sie mir das nicht beantworten. Sie meinte, im Krieg und in den Nachkriegsjahren, hätten Gegenstände auf die seltsamste Art und Weise ihre Besitzer gewechselt.
Doch was sollte diese eigentümliche Unterschrift, wer heißt schon Titurel von Montsalvatsch? Das erinnert an Parsifal, den Gral und die Gralsburg. Also notierte ich mir damals eine Idee für eine Geschichte um dieses Buch. Die blieb dann erst einmal liegen. Bis ich nach den ersten Märchen auch wieder Geschichten schreiben wollte. Daraus entstanden ist die Geschichte: ‚Das Vermächtnis der Bibliothek’, mit Bibliotheken hatte ich es ja immer schon, ich mag sie einfach.
Außerdem erinnerte ich mich an eine Episode, als ich noch an der Bergstraße wohnte. In jenem Jahr starb der Onkel einer Frau aus unserer Bekanntschaft, und irgendjemand hatte wohl im Kopf, dass ich Bücher liebe. Als diese Frau nun das Haus ihres Onkels und damit dessen umfangreiche Bibliothek auflösen wollte, dachte sie auch an mich und lud mich ein, mir doch auszusuchen, was ich an Büchern haben wolle. Nun, ich fand, diese Szene passe gut zu meiner Geschichte. Und damit es nicht zu kompliziert wird, ist es nun die Nichte, die das seltsame Buch, das ich vorhin beschrieben habe, im Bücherregal ihres Onkels findet.
Neben allem anderen hatte mich in der Widmung auch das ‚vielliebe Hans Christian’ irritiert. Von meiner Mutter wusste ich, dass man im Baltikum gerne solche Bezeichnungen benutzt. Ich erinnerte mich an einen Urlaub, in dem wir ein altes Ehepaar aus Riga kennen lernten. Meine Mutter und ich wurden nur mit gnädige Frau und gnädiges Fräulein angesprochen (ich war damals sechzehn). Und Hans Christian – das klang irgendwie norddeutsch oder nordisch – ich glaube bei der Idee hat Hans Christian Andersen Pate gestanden. Und somit fand ich, wie ich meine, eine sehr gute aber eigenwillige Lösung. Die Lösung für mein Buch harrt immer noch auf Entdeckung.
Die zweite Erzählung, die ich mir gleich darauf vornahm, ist auch von der Idee her neueren Datums. Sie entstand aus einer schamanischen Reise zu einer Ahnin von mir. Diese hatte mir erzählt, dass sie vor den Toren Kölns gelebt habe, so zu Zeit der Frankeneinfälle in Köln, und schamanisch begabt war. Aber niemand konnte oder wollte etwas mit ihrer Gabe anfangen. Und als sie die Frankeneinfälle voraussah, konnte auch damit keiner umgehen. So entstand die Geschichte: ‚Eine Begabung ohne Wert’. Aber das wäre nicht ich, wenn nicht auch aus dieser Geschichte eine positive Wendung – oder sagen wir lieber eine Erkenntnis – hervorginge. Doch die hat die Frau erst am Ende ihres Lebens.
Während meiner schamanischen Reise hatte ich die Trauer dieser Frau gespürt, das Bedauern, dass sie ein so großes Geschenk mitbekommen hatte, und keiner wollte es. Irgendwie war es mir wichtig, dass in einer Geschichte festzuhalten.
Allerdings ist meine Geschichte nicht einfach eine Nacherzählung dessen, was mir meine Ahnin berichtete. Nach der ersten kurzen Notiz, ließ ich erst einmal den Text fließen. Dann aber packte mich die Neugier und ich machte mich schlau, was denn in dieser Zeit in Köln und Umgebung überhaupt los war. So nach und nach fielen mir auch noch andere Dinge ein, die ich irgendwo einmal gelesen hatte, Bemerkungen, dass hier damals ein buntes Völkergemisch lebte. Mir fielen die Matronenheiligtümer in der Eifel ein – keltisches Erbe –, die Ubier – ein germanisches Volk –, die letzten Nachkommen der Römer und dann natürlich die Franken. Und außerdem gab es zu der Zeit auch Juden in Köln. So tauchen in meiner Geschichte auch Personen aus all diesen Kulturen auf. Und natürlich – fragt mich bitte nicht, warum es natürlich ist – ist die schamanische Begabung meiner Idrin ein Erbe ihrer keltischen Vorfahren.
Mir ist, als hätte ich mit dieser Geschichte meiner Ahnin, und damit meinen Vorfahren überhaupt, ein Geschenk gemacht. Es sollte nicht die einzige Geschichte bleiben, die mit meinen Vorfahren zu tun hat. Aber das gehört an eine andere Stelle.
Bei der nächsten Erzählung weiß ich schon nicht mehr ganz genau, wie denn die Idee dazu überhaupt angefangen hat. Viele meiner Erzählungen und Romane haben mehr oder weniger mit Büchern zu tun, und durchaus auch oft mit dem Vorgang des Schreibens. Aber irgendein Anlass muss mich auf diese etwas abwegige Idee gebracht haben.
Ich vermute mal, dass es eine Nachricht war, die ich gelesen habe – oder ein Bemerkung, die ich gehört. Die Grundidee war: was macht ein kleiner Verlag, dem es finanziell nicht so gut geht, mit einem Manuskript, das zwar möglicherweise zu einem Renner führen könnte, aber sauschlecht ist. Sozusagen, politisch brisant, interessant für viele Leute – aber der Autor ist nicht nur kein guter Schreiber sondern es trieft auch noch von Selbstbeweihräucherung.
Da es in unserem Bekanntenkreis einen ähnlich gelagerten Fall gab, nahm ich einen DDR-Doppelagenten – sprich einen Mann, der hier im Westen als unbescholtener Bürger lebt aber für die DDR spioniert. Er fällt nie auf. Erst mit Einsicht in die Stasi-Akten kommt heraus, was er gemacht hat. Da er immer Tagebuch geführt hat, kommt er auf die Idee, daraus eine Biografie herzustellen. Und da er nie Interviews gab, lechzen natürlich alle danach. Jeder will wissen, wie er es geschafft hat, nie aufzufallen.
Auf einer Feier – da ist er inzwischen wieder auf freiem Fuß – lernt er die Mitarbeiterin des kleinen Verlags kennen und bietet ihr sein Manuskript an. Die nimmt es auch, liest es und ist entsetzt. Heiße Diskussion im Verlag. Der Vertriebschef will es unbedingt veröffentlichen, er sieht darin die finanzielle Rettung.
Die Lösung will ich nicht verraten, nur so viel: so wie dieser Mann sich das gedacht hat, wird es nicht. Denn die junge Frau lässt sich etwas einfallen. Auch diese Idee ruhte eine ganze Weile. Als ich dann wieder mit Erzählungen anfing, gefiel mir der Plot immer noch so gut, dass ich sie schrieb.
Das ist bei der nächsten Geschichte anders, Einfall und Aufzeichnung waren am gleichen Tag. Die Idee dazu kam mir eines Abends, sie fiel mir sozusagen in den Schoß. Fast so wie meine Märchen – und irgendwie hat sie auch etwas Märchenhaftes an sich. Manchmal meine ich, Dickens lässt grüßen.
Eine junge Frau, mit dem Schreiben eines Romans beschäftigt, soll Weihnachten bei ihrer Familie verbringen, hat aber keine Lust dazu. Sie behauptet, sie müsse zur Recherche für ihr Buch nach England. So mietet sie sich dort über die Feiertage in ein Hotel ein. Wohl fühlt sie sich dort allerdings nicht. Und mit ihrem Roman kommt sie auch nicht so recht weiter.
Eines Abends sitzt sie vor dem Kaminfeuer ihres Zimmers, den Band mit Dickens Weihnachtsgeschichten auf dem Schoß und starrt in die Glut. Plötzlich nimm sie einen Feuerkobold wahr, der sie anspricht. Immer mehr Geisterchen tauchen auf und reden mit ihr über ihre Schwierigkeiten, die sie zurzeit mit dem Schreiben hat.
Über dem Gespräch, wird ihr vieles klarer, sie sieht nun auch deutlicher ihre eigenen Probleme. Die liebevolle Anteilnahme dieser kleinen Wesen hilft ihr, einen Entschluss zu fassen, nämlich nun auf eine andere Art und Weise zu schreiben, weniger zu planen und mehr fließen zu lassen.
Am Schluss fährt sie wie erwachend hoch, der Dickens-Band ist ihr vom Schoß gefallen und sie weiß nicht, hat sie das eben erlebt oder nur geträumt. Allerdings hat sie sich dadurch verändert und ist nun in der Lage, anders zu schreiben. Der Titel dieser Geschichte lautet: Der Geist des Feuers.
Die Entstehung der dritten Geschichte hatte einen eher zweckmäßigen Anlass. Mein Band Ansíth mit Gedichten und kleinen Erzählungen sollte herauskommen und ich hatte das Gefühl, dass es ihm gut täte, wenn noch eine kleine poetische Geschichte dazukäme. Ich ging fast wie bei meinen Märchen vor, bat nur darum, eine kleine, zauberhafte Geschichte schreiben zu können, die in einen Gedichtband passt.
Als erstes sah ich etwas, dass es leider so nicht mehr gibt. In der Nähe des Kölner Doms entstand vor vielen Jahren ein neues Museum: das Museum Ludwig. Von diesem so genannten Domhügel, auf dem Museum und Dom stehen, bis hinunter zum Rhein plante man gleichzeitig mit dem Bau eine groß angelegte Treppe. Die Flächen zwischen den Stufen bepflanzte man mit riesigen Lavendelbüschen und zur Zeit der Blüte bildeten sie einen herrlichen Kontrast zu dem roten Stein der Stufen. Inzwischen ist leider der Lavendel entfernt worden.
Doch meine Geschichte sollte diesem Lavendelfeld ein Denkmal setzen. Eine kleine Deva, die das Feld beleben soll, verirrt sich in der Stadt und muss nun ihren Weg suchen, um zu dieser Treppe zu gelangen. Und der Titel heißt einfach: Lavandula.
Nach diesen Geschichten meldeten sich erst wieder Märchen und so dauerte es ein paar Monate, bis ich mich weiteren Erzählungen widmete.
Nach den Märchen nahm ich mir wieder meine Ideen für Geschichten vor. Ich sinnierte noch, welche ich denn weiterführen solle, da sah ich plötzlich ein Bild. Dorothy, ein junges Mädchen, betrachtet das Gemälde ihrer Urgroßmutter Rachel, einer ungewöhnlichen Frau, über die in der Familie so einige Geschichten erzählt wurden. Dorothy steht vor einer wichtigen Entscheidung und sie hofft, hier vor diesem Bild Klarheit zu gewinnen.
Natürlich spielt die Geschichte mal wieder in England – es lässt mich nicht los – und die Episode findet 1746 statt, kurz nach der Schlacht von Culloden, in der das Haus Hannover die Stuarts endgültig besiegte. Vater und Bruder von Dorothy sind in der Schlacht gefallen – auf der Seite der Stuarts – und sie sieht nun einer ungewissen Zukunft entgegen.
Während sie das Bild betrachtet, erinnert sie sich an das, was von ihrer Großmutter erzählt wurde. Übrigens heißt die Geschichte: Die Hexe und damit ist Rachel gemeint. Der größte Teil meiner Erzählung berichtet von dieser Rachel, ihren Schwierigkeiten, da sie weder zur dienenden Bevölkerung noch zum Adel zu gehören scheint. Wie sich später herausstellt, ist sie das uneheliche Kind einer Erzieherin und eines Grafen.
Als sie eines Tages wieder im Dorf in Schwierigkeiten gerät, rettet sie ein Reiter. Er bietet ihr Unterkunft an, wenn sie für seine Nichte und seinen Neffen sorgen würde. Es entsteht daraus nach langer Zeit und vielen Umwegen eine Ehe, aber obwohl die beiden sich lieben, reden sie nicht darüber. Erst Jahre später, als Rachel schwer erkrankt und der junge Mann befürchten muss, seine Frau zu verlieren, finden sie wirklich zueinander.
Letztendlich gibt diese Geschichte Dorothy die Kraft, ihre Entscheidung zu treffen.
Die Grundidee zur nächsten Geschichte – sie spielt schon wieder in England, oder vielmehr hauptsächlich in Wales – hatte ich schon lange Zeit vorher notiert. Sie war aus einer Frage entstanden, die ich mir beim Lesen der vielen Georgette Heyer Romane gestellt hatte. Ich liebe diese Romane natürlich auch deshalb, weil sie in England spielen, die meisten auch noch in einer Zeit, die mich nicht von ungefähr fasziniert, nämlich die des Regency. Ich hatte allerdings einen Ausdruck als Mann zu jener Zeit.
Aber beim Lesen – nicht nur von Georgette Heyer, bei den Brontës, der Jane Austen, bei Thackeray oder George Elliot ist es auch nicht anders – wird ganz deutlich klar, dass damals ein Mädchen der gehobenen Schicht nicht allzu viele Wahlmöglichkeiten hatte. Ein armes Mädchen, das nicht heiratete, hatte mehrere Möglichkeiten, sie konnte auf einem Hof als Magd arbeiten, Dienstmädchen oder Köchin werden, in einer Küche als Hilfe arbeiten, Näherin oder Zofe werden. Häufig mit der Möglichkeit, sich hochzudienen. Ein armes Mädchen aus einem guten, sprich adeligen Haus konnte das nicht. Für diese gab es im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Gesellschafterin oder Gouvernante. Dabei immer der peinlichen Wahrscheinlichkeit ausgesetzt, Leuten zu begegnen, die sie von früher kannten.
Erschwerend kam hinzu, dass man eine hübsche junge Frau selten als Gouvernante einstellte – aus Angst, sie könne die männlichen Familienmitglieder verwirren.
Irgendwann stellte ich mir dir Frage, wie es mir in einer solchen Situation gegangen wäre, wie ich mich damit gefühlt hätte. Mir schien, dass es noch eine weitere Möglichkeit geben müsse, die aber in den Romanen fast nie erwähnt wird – warum auch immer. Doch genau die faszinierte mich, vielleicht auch deshalb, weil ich sie den beiden anderen Möglichkeiten vorgezogen hätte: nämlich die Position einer Haushälterin.
Auf der anderen Seite hatten mich immer Frauenfiguren fasziniert, die nicht dem gängigen Zeitgeschmack entsprachen – wie langweilig. Beim Lesen all der historischen Romane ging mir dann auf, dass einige deshalb so besonders waren, weil sie die Tochter eines Soldaten waren, der unter Wellington diente. Sie zogen oft von Ort zu Ort mit, hatten einen ganz anderen Umgang mit jungen Männern, und waren damit für das übliche Gesellschaftsleben in London ‚verdorben’.
Als ich all diese Ideen miteinander verband, hatte ich meine Geschichte. Titelheldin ist Harriet, die Tochter eines Majors, der außer seinem Sold kein Geld hatte aber aus adeligem Haus stammte, der Krieg ist vorbei (also nach 1815), der Vater erkrankt und nun tot. Sie steht am Grab und sinniert, was sie nun tun soll. Sie ist inzwischen fünfundzwanzig, nach damaliger Vorstellung zum Heiraten sowieso fast schon zu alt, keine Freunde, kein Geld und keine Ausbildung. Das einzige, was sie kann, ist einen Haushalt führen, denn das tat sie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr.
In dieser Lage findet sie der Vater eines jungen Soldaten, der unter ihrem Vater gedient und gefallen war. Sam hatte von dem Tod des Majors gehört, er ist seit kurzem Majordomus bei einem jungen Viscount und sucht dringend eine Haushälterin für dessen Haus in Wales. Da will nämlich niemand hin, weil es so einsam ist. Für Harriet ist das die Lösung. Und dann schwelge ich natürlich in ihrer Arbeit, die sie in Wales macht – die weiteren Teile will ich hier nicht breit erzählen.
Diese Idee, in der damaligen Zeit ein Haus zuführen, wenn man denn schon kein eigenes hat, war mir immer wieder in den Sinn gekommen. Ich konnte mir richtig vorstellen, wie dies eine Frau erfüllen kann, wenn sie denn an solchen Dingen Freude findet. Und natürlich ist auch meine Harriet eine für ihre Zeit sehr ungewöhnliche Frau.
Da ich selbst am liebsten Geschichten und Romane von Menschen lese, die ungewöhnlich sind, schreibe ich auch meist über solche. Auch die nächsten Geschichten zeugen von dieser meiner Vorliebe, doch das werde ich beim nächsten Mal berichten.
Zitat von ApfelblüteSie war aus einer Frage entstanden, die ich mir beim Lesen der vielen Georgette Heyer Romane gestellt hatte. Ich liebe diese Romane
Hach, na das freut mich ja zu lesen! Ich liiiieeebe Georgette Heyer total, aber mir war das auch immer ein bißchen peinlich ... sind ja Liebesromane nach bekanntem Strickmuster und also eigentlich "Kitsch" und eines geistigen Menschen unwürdig, aber ich hab sie verschlungen ohne Ende und mich oft gekringelt über die Dialoge und geschwelgt in den Beschreibungen der diversen Outfits ... Und die Happy Ends sind natürlich auch immer wunderschön. Allerdings bereitet es einen nicht gerade drauf vor, wie das dann wirklich ist mit den Beziehungen und mit der Liebe ...
Schade, daß du das mit den Märchen weggelassen hast. Meinst du, das gehört nicht in einen "Schreib-Blog"? Mich hätte das jetzt gerade mal interessiert, da ich ja selber auch welche geschrieben habe.