Ich las vor Jahren mal von jemanden, der lange in Afrika als Arzt tätig war und die Kinder dort bewunderte, die ihr "Leid einfach aussitzen" ohne zu klagen. Inzwischen darf ich das selbst probieren, dieses Aussitzen von körperlichem Schmerz. Ich lasse die Schmerzmittel alle weg, betäube mich auch nicht durch andere Ablenkungen wie Fernsehen, Alkohol o.ä. sondern sitze täglich einige Stunden einfach nur da und fühle, sehe, was in mir so vorgeht.
Es gehörte bei vielen Eingeborenenstämmen zur Initation von Jugendlichen, drei Tage und Nächte im Freien ganz allein verbringen zu müssen, einfach in einem Steinkreis auf der Erde sitzend, vielleicht eine Trommel als Begleitung.
Weiterhin sagte man in meiner Kindheit, dass jede überstandene Kinderkrankheit Kinder ein Stück reifer werden lässt.
Heute, wo gegen alles Tabletten oder Spritzen eingesetzt werden, wo es so viele andere Ablenkungen gibt, ist dieses Aussitzen von Schmerzen fast vergessen.
Ich erlebe, es geschieht etwas Tiefes in mir durch dieses Aussitzen ohne Ablenkung, das der Verstand nicht begreift, aber er ist inzwischen so weit gezähmt, dass er Ruhe gibt, nur ab und zu mault er noch einmal kurz und ich lasse ihn, denn ernst nehme ich ihn sowieso in diesen Momenten nicht. Denn dafür ist dieses Programm "Verstand" nicht geschrieben. Er will alles so einfach und auch so schnell wie möglich loswerden, was schwierig oder schmerzhaft ist.
Der Schmerz ist ja nicht im ganzen Körper, sondern lediglich im linken Unterarm und der Hand, es ist eine große Spannung da, durch das Angeschwollen sein. Doch der ganze restliche Körper reagiert trotzdem ebenfalls, der Kreislauf sackt bei der kleinsten Anstrengung ab, das Herz pocht wie verrückt, Übelkeit im Magen, Essen schmeckt widerlich.
Und dennoch ist durch dieses mich Fühlen eine solche Lebendigkeit in mir, die mir entgehen wüde, wenn ich mich mit Drogen benebeln würde und genau das finde ich jammerschade.
Freude und andere Lüste mag ich ja auch gerne, doch was ist mit Leid und Schmerz? Er gehört schließlich zum Körpersein genauso dazu. Es ist nicht leicht, dieses Aussitzen, und ich bin froh, dass ich in den letzten Monaten bereits in anderer Hinsicht Geduld geübt habe, als die Leere bei mir anklopfte und ich auch täglich einige Stunden einfach nur da saß in dieser inneren Leere, als der Verstand an jedem Gedanken abrutschte, weil all seine gewohnten Konzepte sich in Rauch aufgelöst haben.
Es ist eine gewisse Süße in diesem bewussten Schmerz, ich fühle mich sehr viel tiefer und intensiver, als wenn ich mich freue, sinke viel tiefer in meinen Körper, als wenn ich vor Lebenslust tanze. In sich selbst hineinsinken, zulassen können, dass Schmerz da ist, und gleichzeitig das Bewusstsein voll wach halten, ist wirklich etwas, das sich anfühlt, als ob ich erwachsener, reifer werde.
Als ich heute im Wartezimmer mit all den anderen Unfallverletzten saß, las ich in Konstantin Weckers
"Der Klang der ungespielten Töne"
Ich habe mich verloren und doch alles gewonnen. Nun, da ich mich all dessen entledigen konnte, womit und wofür ich mein Leben lang gelärmt habe, hier, mitten im Trubel der Stadt, begegne ich der Stille.
Als hätte ich nie zuvor einen wirklichen Ton vernommen, höre ich.
Schwingungen, die wie Worte donnern, Wellen, die zu Räumen werden, jetzt endlich lausche ich den Dingen zu und ihrem unwiderstehlichen Klang.
Dem Klang einer nicht abgespülten Kaffeetasse zum Beispiel. Kein Missklang, wie man vermuten könnte, sondern ein zierlicher D-Dur-Akkord, ein hingehauchtes Dankeschön, wofür auch immer sich diese Tasse bedanken möchte.
Oder dem Gezwitscher zerstreuten Salzes auf dem Tischchen neben der Spüle, dem gelangweilten Gemurmel verschütteten Rotweins neben dem Bett - es ist ein Klingen in den Dingen und eine zarte Höflichkeit, die ich bei den Menschen oft vermisste.
Ich höre aus dem Fenster, und mir wird schwindelig ob der verzweifelten Gesänge der Menschen, Tiere und Häuser. Hinter der angestrengten Fröhlichkeit lauert ein ostinates Klagen. Schmerzensschreie verbergen sich hinter den scheinbar fröhlichen Rythmen, die einem aus den Eingeweiden der Stadt entgegenquellen.
Und erst der Tonfall der geschwätzigen Leute!
Klänge, die man wechselt wie das Gesicht, je nach dem Gegenüber und der Wichtigkeit der Lügen eingefärbt, kaum ein warmer Ton, nur grell getünchte Stimmfarben, hektisch oszillierende Obertöne, alles so unglaubwürdig, so vergänglich.
Wie unvergänglich ist dagegen ein ehrlich in die Welt gestelltes Wort,
ein unverhülltes Leid.
Und so höre ich endlich hinter den Laut, und weil ich höre, sehe ich, und weil ich sehe, weiß ich mich verbunden mit allem, was tönt.
Auch der Schmerz in meiner Hand singt ein ganz bestimmtes Lied, das ich höre, wenn ich still halte, bewusst da bleibe und wahrnehme. Es ist kein Faschingsschlager sondern ein Herbstlied, das von Stille und Alleinsein spricht. Es ist ein Geschenk, allein sein zu können. Und ich gedenke der Toten und Verletzten des Busunfalls, auch dort so viel Schmerz, der ertragen werden möchte.
Hallo Antalia, es berührt mich was du schreibst. Mehr will ich dazu gar nicht sagen oder schreiben. Aber es ist schön mit sich zu sein, gell? ,,Der Klang der ungespielten Töne'' schöne Erfahrung. sei lieb gegrüßt Kerstin
Zuerst begann es schön zu werden, mit mir allein zu sein und nun erst genieße ich auch wieder das Zusammensein mit anderen, weil es nicht mehr aus Not geschieht, aus Angst vor Einsamkeit, oder weil mir etwas fehlt, sondern einfach aus Freude, am Sein mit anderen.
Es ist Einatmen (Alleinsein) und Ausatmen (Gemeinschaft), beides ist eins, gehört als Mensch zusammen. Es geschieht meist von selbst. Ein Impuls mit anderen zu sein kommt und irgendwann auch der Impuls, wieder mit mir zu sein. Das kann ich natürlich nur deshalb meist selbst wählen, weil ich bereits in Rente bin. Wie es ist, in der beruflichen Alltagswelt, nun ein wenig erfuhr ich das in der Klinik, wo ich nur auf der Toilette kurz allein sein konnte. Nach 3 Tagen ging mir dann doch allmählich die Puste etwas aus vom vielen Zusammensein, aber irgendwie gings auch viel leichter als früher.
Das spricht so klar für s-d-ich, das ich mich einfach mit-freue.
Und was den Schmerz annehmen angeht, das macht Matrix Energetics auch, wobei der Mensch hier noch ein Stück weiter geht, er nimmt an, geht damit um und erlaubt seinem Körper sich in seinem Tempo selbst zu heilen.
Auf diese neue Erfahrung lasse ich mich gerne ein, liebe Johanna. Nur, was ich selbst erfahre, weiß ich wirklich, alles andere übernehme ich nur von anderen.
Liebe wird mehr, wenn ich sie gebe, das ist es, was ich erfahre. Ziehe ich mich in mich zurück, gebe ich mir selbst die ganze Energie, ist auch Liebe. Gehe ich mitten unter die Menschen, fließt die Energie untereinander, so kein Staudamm gebaut ist.