Zwar habe ich diesen Text auch in mein Schamanenforum gesetzt, aber aus irgendeinem Grund möchte er auch hierhin. Das, was ich unten in der Geschichte schildere, hat eine Vorgeschichte. Ich sah plötzlich genau das, was ich in den ersten Zeilen beschreibe. Jener junge Mann ist mir nicht unbekannt – ich habe auch im umgedrehten Puzzlestein von ihm berichtet.
Letzten Sonntagabend sah ich ihn plötzlich vor mir, genau so wie beschrieben, und ich fühlte nur das ganz tiefe Bedürfnis, ihn zu trösten. Also stellte ich mir vor, ich sei in seinem Raum und tatsächlich konnte ich mich mit ihm unterhalten. Die Worte waren zwar andere als die in der Geschichte, aber der Inhalt war der gleiche. Und erst als ich das Gefühl hatte, dass es ihm nun besser ging, kehrte ich zurück – es war wie eine schamanische Reise. Und erst danach kam die Idee mit der Geschichte.
Nun, nachdem ich die Geschichte noch einmal gelesen habe, fällt mir aber etwas sehr Seltsames auf. Es erinnert mich an eine Arbeit, die wir im Seminar keltischer Schamanismus mit Tom Cowan gemacht haben. Tom nannte es: Wunder in die Vergangenheit bringen. Die Idee dahinter ist, dass es in der schamanischen Welt keine Zeit gibt. Und so erhielten wir den eigentümlich anmutenden Auftrag, in einer schamanischen Reise zu erfragen, welche Wunder wir in der Vergangenheit bewirkt hätten. Anschließend sollten wir diese Wunder wahr werden lassen. Nun kommt es mir fast so vor, als hätte ich ein Wunder aus der Vergangenheit (oder in der Vergangenheit) auch wahr werden lassen.
Meine Überlegungen gingen dann gleich weiter. Ist es nicht oft so, dass wir uns manchmal verzweifelt oder traurig fühlen und auf einmal, ohne einen Anlass im Außen, geht es uns besser, fühlen wir uns seltsam getröstet? Ob da vielleicht auch jemand aus unserer Zukunft Wunder in seine (meine, unsere, welche auch immer) Vergangenheit bringt? Mein Verstand tut sich im Moment mit dieser Idee noch ein wenig schwer, andererseits „sehe“ ich regelrecht das Netz und habe das wundervolle Gefühl, dass es eines ist, das uns auffängt.
Alles Liebe Apfelblüte - Ursula
Und nun die Geschichte:
Der Geist aus der Zukunft
Der junge Mann stand am Fenster seiner Wohnung, er hatte die Stirn gegen das Fensterkreuz gelehnt und die Hände in den Hosentaschen vergraben. So stand er schon seit nahezu fünfzehn Minuten. Auf einen Beobachter wirkte er geradezu starr; keine einzige Bewegung verriet, dass in ihm Leben steckte. Und genau so fühlte sich Jochen auch. Alles in ihm schien tot zu sein. Er hatte blicklos auf die Straße gestarrt, was da unten vor sich ging, davon hatte er nichts wahrgenommen. Nicht, dass es ein wundervoller Sommertag war, nicht die spielenden Kinder und keines der zahlreichen Autos. Vor seinem inneren Auge liefen immer wieder die gleichen Szenen ab. Zuerst wundervolle, strahlende und dann – nur noch Düsternis. Das Mädchen, von dem er kaum mehr als den Namen wusste, tauchte wieder vor seinen Augen auf. Sie hatte beim Fest neben ihm gesessen, hatte mit ihm gelacht und gescherzt. Und als sie zu mehreren zu seiner Wohnung gingen, war sie mitgekommen. Hatte er sie gefragt? Ein anderer? Er wusste es nicht mehr zu sagen. Nur wie glücklich er da gewesen war, das spürte er immer noch. Aber irgendetwas war falsch gelaufen. Als sie in seiner Wohnung ankamen, schien alles noch in Ordnung. Zwar hatte sie ihn nicht mehr so angesehen wie bei der Feier, aber sie hatte sich still zu den anderen gesetzt, ein Glas Bier von ihm entgegengenommen und ab und an eine Bemerkung gemacht. In die Allgemeinheit – nicht zu ihm. Irgendeiner hatte erzählt, dass er tauche, und sie hatte kurz interessiert zu ihm geblickt. Wie unter einem Zwang war er aufgestanden, hatte vom Regal die Koralle geholt, die er selbst gebrochen hatte, und hatte sie ihr hingehalten. „Oh, wie hübsch“, sie sagte es leise aber ohne ihn anzusehen. „Warte, ich mache sie nass, dann wirkt sie wie lebendig.“ Hatte sie verstanden, warum er das getan hatte? Wohl kaum. Sie hatte die Koralle in die Hand genommen und irgendeine nichts sagende Bemerkung gemacht und er hatte mit ebenso belanglosen Worten geantwortet, die er schon wieder vergessen hatte. Als er die Koralle zurückgelegt hatte und zu ihr blickte, war ihr Geist mit etwas anderem beschäftigt. Womit, das konnte er nicht erkennen. Immer, wenn er versuchte, sich zu erinnern, wie sie da ausgesehen hatte, schob sich ein anderes Bild dazwischen: sie, lachend und scherzend neben ihm am Tisch. Was nur hatte er falsch gemacht? Was danach passierte, erinnerte er nur in Bruchstücken. Eine andere Studentin hatte ihn an sich gezogen und er hatte sich ziehen lassen. Er hatte gehofft, dies könne ihn ablenken, vielleicht sogar trösten. Doch nichts davon trat ein. Die Küsse schmeckten schal und doch küsste er sie fast verzweifelt weiter. Er hatte gehofft, dass dieses stille Mädchen, in das er sich so unsterblich verliebt, wenigstens darauf reagieren würde. Doch nichts geschah. Was danach kam, wusste er nicht mehr. Er sah und fühlte nur eine tiefe Leere in sich. Dass das Studium für ihn wohl bald zu Ende war, machte ihm fast schon nichts mehr aus. Warum auch? Es gab keinen Grund mehr, warum er unbedingt weiterkommen musste. Es gab nicht mehr den Wettkampf mit dieser Studentin, die anscheinend so leicht lernte, der die doch eher „männlichen“ Fächer wie Mathematik und Physik fast in den Schoß fielen – im Gegensatz zu ihm. Wozu noch lernen? Es war gleichgültig. Er kehrte in die Küche zurück und lehnte sich gegen den Tisch, immer noch die Hände in den Hosentaschen, als könne er sich da festhalten. Die letzte Woche hatte er mehr geraucht als ihm gut tat, aber auch das hatte nicht geholfen zu vergessen. Während er noch auf den Boden starrte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Eigentlich konnte das nicht sein. Er wusste, dass er allein war, und es stand auch, trotz des warmen Wetters, kein Fenster offen, durch das ein Vogel oder ein anderes Tier in die Küche hätte fliegen können. Als er hochblickte, bemerkte er schemenhaft eine Gestalt, die so durchsichtig erschien, dass er glaubte, er träume. Er stieß seinen tiefen Seufzer aus. „Ach, mein Lieber. Sei doch nicht so traurig. Sieh, ich will dir doch nur helfen.“ „Wer bist du?“, er war bestimmt irre. Er hoffte, dass mit seiner Stimme die Gestalt verschwinden würde. Aber sie näherte sich und setzte sich nun anscheinend neben ihn auf den Tisch. „Mein Lieber. Das wirst du nicht verstehen. Ich bin die Essenz jenes Mädchens, an das du die ganze Zeit denkst. Ich bin das Jetzt, das Früher und die Zukunft. Deshalb sagte ich Essenz. – Schau, es sollte nicht sein, dass ihr euch findet.“ „Ja, das habe ich bemerkt“, meinte er bitter. „Ihr wolltet es so.“ „Ich bestimmt nicht.“ „Doch, auch du. Später wirst du das verstehen. Jetzt ist es noch zu früh. Du fühlst nur die Wunde. Und sie tut weh. Ich sehe und spüre es.“ Die Stimme klang leise und verständnisvoll. „Wenn du es verstehst, warum tust du nichts, dass sie zu mir kommt.“ „Weil das nicht gut wäre. Und nicht zu euren Lebensplänen passen würde.“ „Das verstehe ich nicht.“ „Nein, mein Lieber. Dessen bin ich mir bewusst. Aber es wird die Zeit kommen, da du es verstehen wirst. – Und sie auch.“ „Hat sie überhaupt gemerkt, wie sehr ich sie liebe?“ „Nein, hat sie nicht. – Sonst stündest du nicht hier und wärst verzweifelt. Wenn sie es bemerkt hätte, dann wärt ihr jetzt zusammen.“ „Und du behauptest, es sei gut – so wie es ist? Mir scheint es alles andere als das.“ „Aber mein Lieber. Es ist nicht alles so, wie es zu sein scheint. Ihr wolltet euch begegnen, wieder begegnen. Aber ihr habt nicht geplant, gemeinsam die nächste Zeit zu verbringen.“ „Und was soll das?“ „Dieser Schmerz, den du jetzt am liebsten loswürdest, er wird dich stark machen. Durchlebtes Leid stärkt, es sei denn, du wühlst darin oder wehrst dich dagegen. Es macht dich reifer und weiser.“ „Da habe ich schon was von.“ „Nun ja, im Moment kannst du das noch nicht sehen. Das ist mir schon klar. Aber in ein paar Jahren wirst du klüger sein.“ „Na, ich weiß nicht“, warf er skeptisch ein. Die durchsichtige Gestalt neigte sich zu ihm und für einen Moment war ihm, als spüre er sanfte Hände in seinem Gesicht. Er schloss die Augen. So, genau so, hatte er gehofft, würde sie reagieren. Sie wirkte so sanft, so scheu. So ganz anders als all die anderen Mädchen. Warum, oh warum konnte das jetzt nicht sie selbst sein, die ihn da streichelte? „Weil ihr das schon gehabt habt“, flüsterte diese seltsame Stimme. Er hielt die Augen weiterhin geschlossen, meinte aber leise: „Wann sollen wir das gehabt haben? Ich kann mich nicht erinnern.“ „Oh, vor langer Zeit. Da ward ihr glücklich miteinander. Da habt ihr erfahren, was wahre Liebe sein kann. Da habt ihr euch nicht nur geliebt sondern unterstützt, was nicht immer dasselbe ist. Aber ihr habt auch Leid erfahren. Und immer war sie es, die dich verlor.“ „Habe ich sie verlassen?“ „Ja, weil du vor ihr gestorben bist – jedenfalls meistens. Nun weißt du, wie sie sich da gefühlt hat.“ „Ach“, das Wort war mehr ein schwerer Seufzer. „Aber sie ist daran erstarkt und sie hat nur an das Schöne gedacht. So wie du nun das Bild von ihr in deinem Herzen behalten kannst.“ „So geht mir das nicht verloren?“ „Nicht, wenn du es dir wünschst. Wenn du beschließt, dass du sie in deinem Herzen tragen willst, so wird dies immer so sein. Du wirst dich nicht immer daran erinnern, aber es wird immer bei dir sein.“ „Und wann sehe ich sie wieder?“ „Oh, vielleicht in vielen Jahren – oder im nächsten Leben.“ „Na, du machst mir ja Mut“, er versuchte, es ironisch klingen zu lassen. „Ich möchte dir Mut machen. Dieses Bild, das du da in dir trägst, ist gleichzeitig das Bild deiner eigenen Weiblichkeit, so wie sie eines Tages erkennen wird, dass du das Spiegelbild ihrer eigenen Männlichkeit bist. Du sollst wissen, dass sie sich auch in dich verliebt hat, aber sie ist sich dessen nicht bewusst. Und es wird noch viele Jahre brauchen, bis sie dies eines Tages erkennt. Dann wird sie es wie ein Geschenk annehmen.“ „Woher weißt du das?“ „Weil ich aus dieser Zeit komme.“ „Aus welcher Zeit?“ „Aus der Zeit, da sie weiß, dass du das Bild ihres inneren Mannes bist. Da sie sich erinnert, dass sie sich in dich verliebt hat und dass du ihr die Koralle gezeigt hast, weil du in sie verliebt warst. Sie wird sich an all die Bilder aus früheren Zeiten erinnern. Und sie wird sich wünschen, dass du dann tatsächlich kommst. Ihr wird dann bewusst sein, dass sie nicht auf die Idee kam, du könntest dich in sie verliebt haben. Einfach deshalb, weil sie glaubte, du stündest weit über ihr.“ „Aber das stimmt doch überhaupt nicht. Wenn, dann steht eher sie über mir.“ „Oh, ihr messt mit zweierlei Maß. Du siehst die tüchtige Studentin, die leichter lernt als du. Und du hast in ihr die alte Seele erkannt. – Sie aber sah einen jungen Mann, der genau so aussieht, wie sie sich jemand vorstellt, in den sich alle Mädchen verlieben. Und einen Mann, der die Spielregeln kennt, ganz im Gegensatz zu ihr. Sie bildet sich ein, dass sich in sie sowieso keiner verliebt.“ „Wie dumm wir doch sind.“ „Oh, nein, nicht dumm. – Ihr lernt, ihr macht Erfahrungen. Und da gehört so etwas dazu. – Wie fühlst du dich, mein Lieber?“ „Ganz eigentümlich. Ein wenig benommen. Sag, wird mir das immer bewusst sein, was du da gerade gesagt hast?“ Ein leises Lachen war die Antwort. Dann fühlte er wieder die sanften Hände. „Nein. Du wirst es morgen schon vergessen haben. Ja, du wirst sogar bald vergessen haben, dass du dich verliebt hast. Aber es wird die Zeit kommen, da du dich wieder an alles erinnerst.“ „Und dann?“ „Hm. Das ist dann deine Entscheidung. Wenn es dir dann immer noch wichtig ist, werden wir euch helfen, euch tatsächlich zu begegnen. In Fleisch und Blut. Wenn es richtig und wichtig ist und die Zeit reif, dann wirst du es schon spüren und wissen.“ „Warum bist du gekommen?“ „Weil ich dich trösten wollte. Ich sah, wie sehr du darunter leidest. Und da wollte ich dir helfen. Ich sagte doch, ich komme aus jener Zeit, da sie es weiß. Es war ihr Wunsch. Sie hat mich zu dir geschickt.“ „Oh, du meinst die erwachsene Frau, die erkannt hat, was das Mädchen nicht wusste?“ „Ganz genau so. Sie möchte dir danken. Und sie würde dich gerne in den Arm nehmen. Das tun, was das Mädchen versäumt hat. Und da sie es nicht tun kann, werde ich es tun. Wenn du magst.“ „Ja, bitte“, flüsterte er. Nun fühlte er nicht nur die Hände in seinem Gesicht sondern ein wohliges Umfangen. Auch wenn er nichts sah, glaubte er doch für einen Moment einen Körper, einen warmen, weichen Frauenkörper zu spüren. Und er stellte sich vor, das Mädchen sei hier, stünde vor ihm und umarme ihn. „Danke“, meinte er leise, als der Druck nachließ. „Gerne geschehen.“
Am nächsten Tag hatte er schon das Erlebnis vergessen, aber er fühlte sich seltsam getröstet.
Zitat von Apfelblüte„Ich möchte dir Mut machen. Dieses Bild, das du da in dir trägst, ist gleichzeitig das Bild deiner eigenen Weiblichkeit, so wie sie eines Tages erkennen wird, dass du das Spiegelbild ihrer eigenen Männlichkeit bist. ...“
Liebe Apfelblüte - Ursula, vielen Dank für diese wundervolle, berührende Geschichte!
Ich trage auch eine alte Verliebtheit in mir, zwar ohne Schmerz, aber mit ein bisschen Wehmut. Die Vorstellung, dass ER das Spiegelbild meiner eigenen Männlichkeit ist, finde ich faszinierend. Künftig nehme ich das Spiegelbild, wenn es plötzlich wieder in meinem Bewußtsein auftaucht, einfach in meine geistigen Arme und erfreu mich daran.
ich weiß, dass nicht jeder, der hier im Forum etwas für ihn wichtiges findet, antwortet oder es kundtut - tue ich nämlich auch nicht immer. Deshalb freut es mich um so mehr, wenn Reaktionen wie deine kommen.
ich wünsche dir noch ganz viele wundervolle Entdeckungen.
Na ich hab ja in unserem Kreativen Wohnzimmer im Schamanischen Forum schon einemeine Reise durch die Vergangenheit beschrieben, bzw. begonnen zu schreiben.
"Die Frau ohne Gesicht!"
Zukunft in die Vergangenheit, Vergangenheit in die Zukunft? In der Welt unserer Geschichten als Menschen gibt es diese Zeiten, auch wenn alles aus dem EINEN kommt. Dieses EINE hat sich als Puzzle zerlegt und es ist köstliches Spiel, es wieder zusammenzusetzen
mich als Ganzes, wiederum als Teil des GROSSEN GANZEN.
Martina Martinique, die Frau ohne Gesicht die ich heute morgen zwischen Traum und Erwachen als Buchtitel sah. Kinder können mit Leichtigkeit in allen Dimensionen herumsurfen wie auch
vielen herzlichen Dank für die so berührende, tiefe und schöne Erzählung, was für mich auch an Dual-Seelenerfahrung erinnert. Es freut mich, dass du dies mit uns geteilt hast.
Ich weiss, dass viele Menschen ähnlich Erlebnisse im Leben haben und beim Lesen erkannte ich mich, als ich mich noch nach einer Dualseele sehnte. Je länger ich mich mit dem Thema auseinandersetzte, stellte ich fest, dass ich mit der einen zusammengelebt hatte, es jedoch sehr schwierig war da in Harmonie zu sein, auch karmische Dinge noch eine grosse Rolle spielten und darum (im Nachhinein erkennend) eine unglaubliche Bereicherung meines Daseins bedeutet und dass eine andere (ich glaube dass man nicht so eingleisig nur an eine Person als Dualseele glauben sollte) mich genauso tief berührt aber interesanterweise der Mann sehr androgyne Züge hat.
Deine Geschichte hat in mir die Erinnerungen geweckt und mir aufgezeigt, wo ich heute stehe und auch dafür danke ich dir.
das scheint ja richtig Kreise zu ziehen. Ich bin platt und starr ( ) vor Staunen.
Ich stelle immer mehr fest, wie aus einem Steinchen ein weiteres entsteht, dann noch eins und noch eins. Ich glaube nicht, dass das jetzt erst so ist - vielmehr, dass wir es jetzt erst wahrnehmen - wahrnehmen können.