Ich ziehe meine Bahn, die Kreise dehnen sich und erheben sich über den bisherigen Lauf hinaus. Es erscheint wie eine Wiederholung des Durchlebten, doch es hat sich erhöht und vertieft, und neue Tore öffnen sich vor meinem Schritt und werden ehrfurchtsvoll durchwandert in neue Gefielde wundersamer Schau und bewegenden Fühlens hinein, auf glänzende Horizonte des magisch Unerforschten zu.
Eine Gestalt kommt mir auf meinem Weg entgegen, in Licht getaucht und geweiht mit den Schatten umfassendster Erfahrungen. Wellen tiefen Berührtseins durchschauern mich voller Andacht und sehnsuchtsrauschender Fülle. Sie verneigt sich vor mir und ich tu desgleichen, indes, als unsere Augen sich einander trafen, ich mich selbst in ihrem Antlitz wiedererkannte …
Durch tiefe Waldesschlüchte trugen mich meine müden Beine. Nur ein schmaler Pfad schlängelte sich durch das dunkle Dickicht alter namenloser Baumesriesen. Doch plötzlich wurde ich in einiger Entfernung kräftiger Sonnenstrahlen gewahr, die sich Bahn brachen durch die Reihen der mächtigen und knotigen Stämme, wie sie nur von einer großen und weiten Lichtung herrühren konnten. Nun hörte ich auch menschliche Stimmen. Mein Herz wollte schon jubeln, seit langem wieder in ein menschliches Antlitz zu schauen und schon war ich dabei, meinen Schritt in wiedergewonnener Kraft zu beschleunigen. Doch irgendetwas ließ mich innehalten. Wie kann das sein – hier in dieser verlassenen und nicht endenden Wildnis? Sind es Truggespinste meiner erlahmten Sinne, oder sollte ich Vorsicht walten lassen, weil ich womöglich mitten in die Fänge von Wegelagerern laufen oder gar in den Bann der Waldgeister, Unterirdischen und Irrwichte geraten könnte?
Trotz allen aufsteigenden Unbehagens trieb mich eine merkwürdige innere Kraft unaufhaltsam vorwärts. Ich vermochte gegen dieses innere bebende und pulsierende Drängen keinen Widerstand aufzubringen. Leise und mit seltsamer Erwartung schlich ich mich weiter vor und tastete mich an einen breiten Baum am Rande der Lichtung heran. Den feuchten Geruch der Rinde in meiner Nase schob ich meinen Kopf etwas am Stamm vorbei und lugte vorsichtig hervor – und erschauerte vor innerer Erregung, die mich jetzt ergriff:
Auf der weiten saftig grünen Lichtung stand ein großes prächtiges, seidenes Zelt. Und davor in leuchtenden Farben und glänzenden Rüstungen standen Edle beieinander, wie ich sie in ihrer Stolzheit, Kühnheit und Schönheit noch nie in dieser Vielzahl gesehen hatte. Ich war so überrascht und geblendet von diesem atemberaubenden Anblick, dass ich mich zurückfallen ließ und mit dem Rücken an den Stamm gelehnt erst einmal tief durchatmen musste. Nun war meine Neugierde geweckt und erneut ging ich auf Spähung, um diesem Geschehen auf der Lichtung auf den Grund zu gehen. Jetzt bemerkte ich, dass irgend etwas diese ehrwürdige Schar beschäftigte. Ihr Augenmerk war auf einen grauen hüfthohen Fels gerichtet, an dem sich einer von den Edlen zu schaffen machte. Als ich genauer hinsah, erkannte ich, wie er an einem gewaltigen Schwert zerrte, dass im Fels festzustecken schien. Nach mehreren vergeblichen Versuchen ließ er jedoch davon ab. Was das wohl bedeuten mochte? Ein anderer aus der Runde trat hervor, noch größer, kraftvoller und edler an Gestalt als jener zuvor und tat es ihm gleich. Zu meiner Verwunderung schien es jedoch auch diesem wie dem vorherigen zu ergehen. Nach einiger Zeit musste er völlig erschöpft von seinem Tun ablassen. Die Ritter, die gerade noch alle mit größter Teilnahme dabei standen und angespannt dieses Szenarium verfolgt hatten, begannen sich zu zerstreuen und ermattet auf dem Grase niederzulassen.
Vielerlei Gedanken schossen mir duch den Kopf. Was soll ich nun tun? Einen Umbogen um die Lichtung durch den Wald nehmen oder geradewegs auf die Lichtung und die edlen Mannen zusteuern, um ihnen die Frage nach dem Grunde ihres hiesigen Verweils zu stellen? Mit einem Mal spürte ich die Anstrengungen meines Marsches der vergangenen Tage und Wochen, der mich durch dieses Reich der Waldesriesen seitdem geführt hat. Ich rutschte am Stamm herunter und setzte mich auf das weiche Moos. Bleierne Schwere überkam mich. Träge wurden meine Lider. Widerstandslos schloss ich meine Augen … nur etwas ausruhen … ein klein wenig … dann werde ich eine Entscheidung treffen …
… Ich fühle mich leicht und frei, wie ein Windhauch, der überall hin gelangt, in jeden Zweig, unter jedes Blatt und jeden Grashalm, und doch über allem gleichsam schwebt. Seltsam, mich verwundert es gar nicht, dass ich auf mich selbst herunterblicke, wie ich schlafend am Fuss des Baumes liege. Bin ich das überhaupt? Raum und Zeit scheinen keine Bedeutung mehr zu haben. Ich schweife hinfort und erfließe mich auf die Lichtung. Lachen schwallt über sie hinweg. Ich sehe die Edlen im Kreise, sie scheinen sich kaum halten zu können vor lauter Vergnügen. Ich gleite über dieses Rund und erkenne einen Jungen, den die ritterliche Schar der Kühnen und Stolzen umringt.
Verlegen und schüchtern steht er da, und doch voller Ruhe und einem Hauch von Trotz. Sein Wanderbündel und Hirtenstab hat er neben sich liegen, als wenn er sie achtlos von sich geworfen hätte. Das Haar hängt ihm wirr in der hohen Stirn, in den Händen hält er noch zusammengedrückt seinen Hut, den er nun zu seinen Füßen legt. Aus seinen Augen beginnt ein Glimmen heraufzudringen, das die Mannen rings um ihn plötzlich zum Schweigen bringt. Langsam, aber gesetzten und sicheren Ganges schreitet er auf den grauen Felsblock zu, in dem noch immer das störrische Riesenschwert eingelassen ist. Die Mannen machen ihm Platz, und als er am Steine anlangt, schließen sie ihren Kreis erwartungsvoll dichter um ihn. Kein Laut dringt mehr aus ihren Mündern, kein Wort des Spottes oder der Belustigung kommt mehr von ihren Lippen – Bedächtigkeit hat das Rund, diesen Ort, ja die Zeit selbst ergriffen.
Ehe ich es mich versehe, verliere ich meine überschauende Position und spüre einen Sog, der mich weg und in etwas hineinzieht.
Was geschieht mit mir? Ich tauche in etwas ein, das ich vor langer Zeit wohl einmal gekannt haben musste, nun aber längst in den Widernissen und Kämpfen des Lebens vergessen und verdrängt hatte. Boden fühle ich wieder unter meinen Füßen, doch dieses Gefühl, dieses Gefühl … Oh, es ist wieder da, jetzt erinnere ich mich, dass ich es einst kannte … ich hatte es verloren – warum werde ich mir erst jetzt dessen gewahr? Ich erlebe mich als lebendiges, wonniges Fühlen mit Allem und in Allem und gleichzeitig als lebenssprühender Körper, der mit dem Körper dieser Welt des Allmächtigen verbunden und verwoben ist. Freude, Unbekümmertheit und Unbeschwertheit pulsiert durch mich hindurch und doch ist da das Ziel, die Entschlossenheit, Mut und Kühnheit. Lust zu springen und zu jubeln packt mich, ins Gras zu legen und die fliegenden Wolken am Himmel zu beschauen oder das Käferlein am Grashalm. Und dennoch durchwebt eine tiefe friedvolle Ernstheit und Sehnsucht all dieses Sinnen und Beben in mir, die mich dazu bringen mich auszustrecken nach einem Mehr dieses augenblicklichen Verweils von immer aufs neue sich selbst erfüllenden und ausfüllenden überfließenden Glücks.
Ein Ruck geht durch mich hindurch. Ich wische mir die Haarstränen aus meinen Gesicht. Vor mir der Felsblock mit dem großen darin verharrenden Schwert. Wie bin ich hierher gekommen? Spielt das jetzt eine Rolle? Nun stehe ich hier. Ich bin es. Hier bin ich. Jetzt bin ich. Liebe durchbrandet mich. Ich bin es. Der Allmächtige ist mein Vater, und ich, ja, auch ich, sein vielgeliebter Sohn hier auf dieser Erde. Oft sprach ich auf den Wiesen beim Weiden der Herde mit unserem Heiland, einen Grashalm zwischen meinen Zähnen kauend. Hier draußen sah ich Ihn, erlebte Ihn, erkannte Ihn, und ich begriff, dass Er auch in mir ist. Hier unten auf den Wiesen, in meiner Herde, in den Bäumen, ja, und da oben, die wundervollen Leuchten da oben am Himmel in der Nacht, wenn ich unter diesem herrlichen Sternenzelt lag. Er waltet in mir, so bin auch ich Sein Verwalter hier auf der Erde. Vorbild ist Er für mich – und ich bin Sein Ebenbild! Und es gibt da nicht den geringsten Zweifel.
Trotz und Drang weichen der tiefen, tiefen Ruhe unerschütterlichen Vertrauens in die Richtigkeit alles dessen, was hier gerade um mich, in mir und gleich durch mich geschehen wird. Wie in Trance strecke ich mich nach dem Schwerte aus, umfasse mit beiden Händen fest den Griff. Und zu meinem eigenen urplötzlichen Erstaunen spüre ich, wie nicht ich das Schwert in Bewegung versetze, sondern wie es geradezu von selbst in meine Hände hineinrutscht und sie in die Höhe drückt. Das Schwert erzittert und mit einem feinen klingenden Surren schwingt es sich mit meinen Händen am Griff aus dem Stein heraus, als wenn dieser nur aus Butter bestünde.
Ich nehme nur beiläufig wahr, wie die Schar der Großen um mich herum, die wohl ein Possenspiel erwartet haben, in Staunen und Entsetzen zurückweicht. Ein unbeschreibliches Gefühl durchtost mich. Schweiß rinnt mir von der Stirn, ich bebe am ganzen Körper, meine Brust hebt und senkt sich wie wild, doch ich stehe fest auf dem Boden, während ich mich in die Sternenweite hinein ausdehne, gemeinsam mit Sonne und Mond ihre Bahn ziehe, auf den Wolken des Himmels reite, mit den Winden der Erde fliege und die Meere dieser Welt durchkämme. Weit und offen liegt die schillernde Welt in bunter Farbenpracht vor mir, um ehrfürchtig entdeckt und lustvoll bejubelt zu werden. Wie ein junger Schmetterling tanze ich mit ihrem Zauber lebensfroh den Reigen der Wonne – und wie ein altehrwürdiger Baum wurzele ich in ihrem Fundament. Es ist der Allmächtige Selbst, der in Mir und als Ich im heiligen Gewand des Menschseins auf Erden verliebt und andachtsvoll wandelt. Das mächtige und breite Schwert, größer als ich selbst, halte ich nun mit seiner Spitze nach oben vor meinem Angesicht, als wenn es mein kleiner Hirtendolch wäre. Ich blicke in zwei leuchtende Augen auf der Schneide, in denen sich die Sterne spiegeln … Es sind meine Augen. Ich bin es selbst. Ich bin angekommen … angekommen in mir, angekommen bei mir selbst …
Ja, welch Wunder, welch Offenbarung, welch Gnade, Ich bin es, der kleine Hirtenjunge, der Sein Königsschwert aus dem Fels der Umklammerung der Illusion und Opferhaltung befreit. Ich bin der Hirtenjunge, der einst König war, um hinauszuwandern, sein Königsein über lange Zeit zu vergessen um über viele Umwege und viele Wanderungen Seine Würde, Erhabenheit und Größe und die Des Lebens in neuer und bislang nicht dagewesener Tiefe zu erfahren. Ich bin der verschmitzte und losgelöste Hirtenjunge, der als göttliches Kind Seinen Königsthron besteigt und in Besitz nimmt, welcher seit Anbeginn der Zeit Ihm vorbehalten ist. Ich bin der unbeschwerte Hirtenjunge, der die vollkommene Eigentümerschaft über und Verantwortung für Seine Realität ausruft und in Anspruch nimmt. So bin ich das, was ich bin: ein König, der göttlich - weil er wieder zu einem unbekümmerten, verspielten und verträumten Jungen geworden ist - der er einst einmal war -, der auszieht, um andächtig und juchzend einzutauchen in die Geheimnisse der Weiten Seiner Existenz in Allem, was IST...
Ich danke Dir von Herzen für Deine Worte, liebe shylalala. Meine inneren Bilder überkamen mich eines Tages (Nachts), und ich musste sie einfach in die Gestalt der Sprache bringen.
Wer weiß, ob nicht irgendwann die "Hirtenerzählungen" ihre Fortsetzung bzw. ihren "Anfang" finden, die ich zuweilen hier hereinstellen werde - denn die "Schau" pulsiert in mir - sie möchte nur herausgelassen werden...
Das würde mich freuen, lieber Hirtenjunge, wenn Du uns an Deinen inneren Bildern und an Deinem Erleben Anteil haben läßt. Ich hör Dir immer sehr gerne zu. Deine Worte berühren meine Seele und bringen sie zum Klingen ...
Ich danke Euch allen für Eure offenherzigen und ermunternden Rückmeldungen.
Auch Dir vielen Dank für die hereingestellten Acrylbilder, liebe Kornelia. Wenn es soweit ist (mal sehen), dass alles geebnet worden ist für meinen Weg in die Selbstständigkeit mit einem kleinen Laden für Buch und Kunst im Dresdener Szeneviertel (währenddessen ich mich offen halte für ein Aufgehen der Potenziale in alle Richtungen ...), werde ich auf Dich zurückkommen.
Bilder können auf faszinierende Weise Fenster in andere Wirklichkeiten sein.
Zitat von HirtenjungeIch danke Dir von Herzen für Deine Worte, liebe shylalala. Meine inneren Bilder überkamen mich eines Tages (Nachts), und ich musste sie einfach in die Gestalt der Sprache bringen.
Wer weiß, ob nicht irgendwann die "Hirtenerzählungen" ihre Fortsetzung bzw. ihren "Anfang" finden, die ich zuweilen hier hereinstellen werde - denn die "Schau" pulsiert in mir - sie möchte nur herausgelassen werden...
Der erzählende Hirtenjunge
Lieber erzählender Merlin-Hirtenjunge
Die "Schau" pulsiert -Der Anfang IST! FREUDE kann es bringen! den Fluss das Herauslassen des innersten Zaubers der verzaubernden "Hirtenerzählungen"