ich greife hier Silverwings Vorschlag auf und stelle eines meiner Märchen hierhin. Dazu gibt es erst einmal eine kleine Vorgeschichte. Ich habe Anfang des Jahres angefangen Märchen zu schreiben - für mich. Dachte ich. Ich las sie dann Freunden und Freundinnen vor und die meinten, sie seien zu schade für die Schublade und ich solle sie doch in meinem Verlag veröffentlichen. Der erste Band wird voraussichtlich noch vor Weihnachten erscheinen.
Nun zu dem Märchen von Mo. Letzte Woche wollte ich endlich meinen Gutschein für eine Ayurveda-Gesichtsmassage einlösen, bummelte erst durch die Stadt und war dann viel zu früh, hatte aber keine Lust mehr in der Kälte rumzulaufen. Also setzte ich mich in den - sehr hübsch gestalteten - Vorraum, um bei einem Glas Tee auf meinen Termin zu warten. Da purzelte mir plötzlich Mo in den Schoß. Zum Glück hatte ich Stift und ein Notizbuch mit. Und - voila hier ist er.
Mo, der Schokoladenbär
Vor langer, langer Zeit da war in dem Land aus Milch und Honig einmal eine Familie Bär, die viele Kinder hatte. Familie Bär war etwas ganz Besonderes, sie bestanden nämlich aus Schokolade. Und jedes Jahr, wenn es auf Weihnachten zuging, stellten sie kleine Minibären aus Schokolade her, die dann in die Geschäfte der Menschen kamen und besonders die Kinder erfreuten. Mo, der jüngste Bär, mochte aber kein Schokoladenbär sein wie all seine Geschwister. Ständig lag er seinen Eltern in den Ohren, dass er doch bitteschön etwas anderes sein wolle als ein Schokoladenbär. „Was möchtest du denn stattdessen sein?“, fragte seine Mutter. Darauf konnte Mo keine Antwort geben. Er kannte ja nichts anderes als Schokolade. Das ganze Land, in dem Mo mit seinen Eltern und Geschwistern lebte, bestand aus Schokolade. Und so wusste er nur, was er nicht wollte. So vergingen die Jahre, Mo wuchs heran, ging in die Schokoladenbärenschule, lernte, wie man kleine Schokoladenbären herstellt. Und er wurde immer unzufriedener. Auch seinen Lehrern erzählte er, er wolle kein Schokoladenbär mehr sein. Doch wenn diese ihn fragten, was er denn stattdessen wolle, konnte er wieder keine Antwort geben. Weitere Jahre vergingen, Mo kam aus der Schule und seine Eltern erwarteten von ihm, dass er sich wie seine Geschwister eine Schokoladenbärenfrau nehmen würde. Doch keine Bärin gefiel ihm. Wie sollte auch. Es waren ja alles Schokoladenbärinnen. Wäre nur eine etwas anders gewesen, dann hätte er sie gefreit. Schon allein deshalb, um von ihr zu erfahren, wie es sei, kein Schokoladenbär zu sein. Inzwischen waren alle Geschwister von Mo verheiratet und hatten selber Kinder. Diese kamen in die Schule und Mo hatte immer noch keine Frau und war immer noch unzufrieden mit seinem Dasein als Schokoladenbär. Eines Tages traf eine Bärin in diesem Land ein, die anders aussah. Sie war wesentlich heller und ihre Haut glänzte matter. Sie sprach zwar die Sprache der Schokoladenbären, aber ihre Art, die Worte zu setzen, war schon sehr eigenwillig. Als Mo von ihr hörte, da beeilte er sich, sie kennen zu lernen. Allein die Tatsache, dass sie anscheinend nicht aus Schokolade war, reichte aus, um sie ihm interessant zu machen. Endlich hatte er es geschafft, Mi – so hieß die Dame – zu einer Fahrt ins Grüne einzuladen. Tatsächlich, sie sah ganz anders aus, benahm sich auch irgendwie anders. Als Mo meinte, dass sie sich nun lange genug kennen würden, da fragte er sie, wo sie herkäme. „Ich bin hierher gekommen aus dem Lande der Marzipanbären“, erwiderte sie. „Was ist Marzipan?“, wollte nun Mo wissen. „Na, das woraus ich bin. So, wie du aus Schokolade bist.“ „Hm“ Das musste Mo erst einmal verarbeiten. „Und was tut ihr in eurem Land?“, stellte er die nächste Frage. „Wir stellen kleine Bären aus Marzipan her, die in die Geschäfte der Menschen kommen.“ Mo fand das nun nicht so spannend, denn das taten sie schließlich auch. Doch obgleich ihn eine innere Stimme warnte, freite er um Mi und nach keinen zwei Monaten waren die beiden ein Paar. Seine Eltern waren froh, dass er endlich verheiratet war, obwohl sie nicht gerade glücklich über Mos Wahl waren. Nach Jahresfrist kam auch tatsächlich das erste Kind. Äußerlich war es eine Mischung der beiden Eltern. An vielen Stellen hatte es die Haut von Mi, aber an den Ohren, der Nase und auch an manchen anderen Stellen war es so dunkel wie Mo. Je länger Mo mit Mi verheiratet war, desto unzufriedener wurde er. Er hatte festgestellt, dass sich Mi, obgleich sie eine Marzipanbärin war, genau so verhielt, wie alle Schokoladenbären. Er fragte sich immer noch, wie es sein würde, etwas anderes zu sein. Ihm war klar, dass es nicht reichte, statt aus Schokolade aus Marzipan zu sein. Und so meinte er, er wäre vielleicht lieber etwas anderes als ein Bär. Als er nach ein paar weiteren Jahren – sein und Mis Kind war inzwischen in der Schule – ein ganz neues, unbekanntes Wesen kennen lernte, da hoffte er, endlich die Lösung zu finden. „Wer bist du?“, fragte er, als er das fremde Wesen lange genug kannte. „Ich bin ein Schokoladenhase.“ Mo seufzte. Das war zwar kein Bär, aber ebenso wie er aus Schokolade. Und ihm schwante, dass auch das nicht viel Unterschied machen würde. Und tatsächlich: Alles was der Hase ihm erzählte, kam ihm irgendwie vertraut vor. Es vergingen wieder Jahre. Seine Eltern waren inzwischen tot und sein Sohn hatte geheiratet, und das, obgleich er doch anders als die anderen aussah. Da verließ Mo eines Tages sein Land. Er war es leid, immer nur ein Schokoladenbär zu sein. Er fand sein Leben so langweilig. Und so suchte er die Dörfer der Menschen auf. Und wirklich, hier schien einiges anders zu sein. Und was ihm diese fremden Wesen erzählten, das war sehr verschieden zu dem, was er kannte. Doch dann kam ein sehr sonniger Tag, er bestaunte noch dieses helle, warme Gebilde am Himmel. Dann merkte er auf einmal, dass er sich auflöste. Er schmolz einfach in der Wärme der Sonne dahin. Doch er lächelte. Er wusste nun, dass es mehr gab als das, was er im Schokoladenbärenland kennen gelernt hatte.
Nun, lasst euch Weihnachten trotzdem die Schokolade schmecken, auch wenn es vielleicht nicht gerade ein Bär ist. Ich habe mich schon gefragt, ob es überhaupt Schokoladenbären gibt, aber vielleicht sind sie ja schon alle geschmolzen. Und übrigens, vielleicht hat die Geschichte für mich noch einen zusätzlichen tiefen Sinn, denn Ursula heißt: kleine Bärin. Ich werde Weihnachten mal in mich hineinhorchen.
Na da bin ich doch gleich hellhörig geworden Wie ihr seht, heiße ich auch Ursula Daher auch mein "Kurzname" Bärchen. Aber eigentlich heißt Ursula - die Bärenstarke, so steht es jedenfalls in den Namensbüchern Liebevoll übersetzt kommt das Bärchen dabei raus.
lichst Ursula
PS.: Schokolade ist wissenschaftlich nachgewiesen ein Gemüse und daher können wir sie unbedenklich essen
Hey Apfelblüte, danke für die Geschichte! Der ist ja wirklich super knuffig, dein Schokoladenbär. Und ich kann ihn sooo gut verstehen - wollte auch selber nie das sein, was die anderen um mich rum waren. Deswegen haben mir wahrscheinlich auch so viele Leute über die Möwe Jonathan geschrieben - bei dem war das auch so ...
Übrigens, daß er sich am Ende in der Sonne auflöst, hat mich an eins von meinen eigenen Märchen erinnert - da ging es um einen Gletscher, der nicht schmelzen wollte. Aber als die Sonne rauskam, blieb ihm doch nichts anderes übrig ...
Es ist schon so lange her, dass ich dieses Märchen hierher stellte. Aber heute ist mir eingefallen, dass es noch etwas dazu zu erzählen gibt.
Im Sommer war ich in einem Kinderkrankenhaus und hielt dort eine Lesung aus meinem Märchenbuch. Ich nahm die Märchen, zu denen meine Freundin Barbara zauberhafte Bilder gemalt hat. Und gerade zu diesem süßen Mo hat sie sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: ein handgeschriebenes Kunstbuch - anders kann man es nicht nennen - mit Bildern von ihr. Das hatte sie mir zum Geburtstag geschenkt. Dieses Buch nahm ich natürlich auch mit.
Leider war der Nachmittag von der Krankenhausseite sehr schlecht organisiert und ich fragte mich schon, warum ich überhaupt dort war. Auf dem Heimweg wusste ich es dann. Es waren nur drei kleine Mädchen zu der Lesung gekommen, alle so sieben oder acht Jahre alt (Diabetiker-Kinder). Als ich mit Mo fertig war, meinte eines: "Und was ist dann mit ihm passiert?" Ehe ich etwas sagen konnte, meinte ein anderes - sehr nachdenklich: "Ich glaube, der kommt das nächste Mal als Mensch auf die Welt."
Und dann, als mir auf der Heimfahrt das durch den Kopf ging, wusste ich es. Ich war wegen dieses Kindes in das Krankenhaus gefahren. So schließen sich die Kreise. Und Anfang Oktober nimmt eine Freundin mein Märchenbuch mit auf die Lichtkinderkonferenz und wird daraus vorlesen. Ich bin mal gespannt, was die dann zu erzählen hat.